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Live!

Live!

Titel: Live! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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fahren wir mit der High-Speed -Fähre auf die Insel. Eigentlich hätte Adriani auch morgen früh noch Zeit, die Koffer zu packen. Doch sie tut sich dermaßen schwer mit der Auswahl der Garderobe, daß sie sich besser fühlt, wenn sie ihre Entscheidungen noch eine Nacht überschlafen kann.
     
    fliehen = die Flucht ergreifen, sein Heil in der Flucht suchen, Reißaus nehmen, entlaufen, das Hasenpanier ergreifen (salopp), abhauen (salopp), türmen (salopp); entziehen (sich).
     
    »Such dir mal aus, welche Hosen und Hemden du mitnehmen möchtest.«
    »Nimm einfach so viele Hemden mit, daß ich für jeden zweiten Tag ein frisches habe, und leg drei Hosen und eine Jacke für die kühlen Abende in den Koffer.«
    Ich suche mein Heil in der Flucht, sozusagen. Selbst wenn ich nicht gerade türme oder abhaue, so nehme ich doch Reißaus. Ich komme nicht umhin, mich wie ein Flüchtling, ein Heimatvertriebener, ein Verbannter zu fühlen.
    Während ich in die lexikographische Erforschung meines Seelenzustands vertieft bin, kommt mir plötzlich der Gedanke, daß mir meine aufopfernde Tat, Elena Kousta vor der Kugel ihres Stiefsohnes zu retten, im Endeffekt nur Unglück gebracht hat. Nicht genug damit, daß ich fast mit dem Leben dafür bezahlt hätte, nahezu einen Monat im Krankenhaus lag und dann unter Adrianis Fuchtel meinen Genesungsurlaub antreten mußte. Darüber hinaus verliere ich nun auch noch meinen Posten im Polizeikorps.
    Glücklicherweise taucht in diesem Augenblick Fanis auf, allein sein Anblick hellt schon meine pessimistische Stimmung auf. Das ist das Gute an Fanis. Er kommt immer beschwingt herein, mit einem Lachen auf den Lippen, und nach zwei Minuten ist man selbst guter Laune.
    »Ich wollte mich von euch verabschieden und schöne Ferien wünschen.«
    »Nur, daß ich heute abend mit nichts Besonderem aufwarten kann«, sagt Adriani, die aus dem Schlafzimmer getreten ist. »Ich wollte vor unserer Abreise nicht mehr groß kochen.« Sie rechtfertigt sich immer, wenn sie nichts auftischen kann, da sie sich verpflichtet fühlt, die Unfähigkeit ihrer Tochter auf dem Gebiet der Kochkunst zu kompensieren.
    »Wozu gibt’s denn Tavernen?« entgegnet Fanis.
    Der Gedanke gefällt ihr, denn sie erklärt sich sogleich bereit: »Ich packe schnell die Koffer fertig und ziehe mich an.«
    Sie ist immer sofort dabei, wenn es darum geht, auswärts zu essen. Doch sobald wir in der Taverne sitzen, hat sie ebenso schnell an allem etwas auszusetzen, insbesondere an der Küche.
    »Bei Andreadis hast du einen mächtigen Stein im Brett«, meine ich, als wir ins Wohnzimmer treten.
    Er lacht auf. »Wegen seiner Mutter. Patienten und Angehörige sind oft überzeugt von der Tüchtigkeit eines Arztes. Dabei ist so vieles reine Glückssache. Als sie mit einem lebensgefährlichen Infarkt eingeliefert wurde, war ich sicher, sie würde die Nacht nicht überstehen. Doch die alte Frau hat eine kräftige Konstitution, und das hat sie gerettet. Andreadis’ Dankbarkeit war mein Lohn.« Er wird ernst und blickt mich an. »Hast du durch ihn etwas in Erfahrung bringen können?«
    Obwohl er nicht genau weiß, was in der Dienststelle auf meinem Rücken alles ausgetragen wird, begreift er den Ernst der Lage, da ich sogar mit einem Abgeordneten sprechen wollte.
    »Er war entgegenkommend und freundlich, aber ich bin auch mit seiner Hilfe nicht weitergekommen.«
    »Wieso nicht?«
    »Weil ich die Stecknadel im Heuhaufen suche.«
    »Gott sei Dank hört dich jetzt deine Frau nicht. Sie ist der Meinung, du würdest dein ganzes Leben mit der Suche nach Stecknadeln im Heuhaufen vertun«, lacht er.
    »Notgedrungen.«
    Er bemerkt meinen Gesichtsausdruck und wird ernst, doch die Klingel an der Haustür unterbricht unser Gespräch. Auf der Türschwelle steht der junge Angestellte eines Kurierdienstes.
    »Kostas Charitos?«
    »Der bin ich.«
    »Unterschreiben Sie hier.«
    Ich tue wie geheißen, worauf er mir einen dicken, bleischweren A4-Umschlag überreicht. Der junge Mann entfernt sich und läßt mich mit der verwunderten Frage zurück, wer mir per Kurier, und noch dazu um halb acht Uhr abends, einen Umschlag nach Hause schicken sollte. Ich suche nach dem Namen des Absenders und erstarre zur Salzsäule. Dort lese ich: Minas Logaras, Niseas-Straße 12, 10445 Athen. Die Adressen sowohl des Absenders als auch des Empfängers wurden auf Klebeetiketten gedruckt.
    Ich trete ins Wohnzimmer, wo ich den Umschlag auf genau dieselbe Weise aufreiße, wie meine Mutter im Dorf Hasen

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