Live!
müssen, fühle ich mich ihm auch moralisch verpflichtet. Wenn aber aus meiner Unterredung mit Andreadis Dinge hervorgehen, die ich besser für mich behalte, so will ich das lieber ad hoc entscheiden.
Ich trinke den letzten Schluck des verwässerten Kaffees und erhebe mich. Der Mirafiori steht in der Protesilaou-Straße. Es ist inzwischen zwölf Uhr, und die Sonne nähert sich dem Zenit. Bis ich die Aroni-Straße passiert habe, bin ich naßgeschwitzt. Ich lege einen Zwischenstop zu Hause ein, um das Hemd zu wechseln. Glücklicherweise ist Adriani noch nicht zurück, so muß ich keine Erklärungen abgeben.
Die ganze Strecke zwischen Vassileos-Konstantinou-Boulevard und Omonia-Platz ist verstopft. Ich fahre über die Tritis-Septemvriou- und die Joulianou- auf die Acharnon-Straße und komme so zur Heyden-Straße. Die Hausnummer 34 liegt zwischen Aristotelous- und Tritis-Septemvriou-Straße. Ich parke vor dem Wohnhaus in zweiter Spur, da ich mir sicher bin, daß sich kein Verkehrspolizist hierherverirrt.
Kyriakos Andreadis’ Abgeordnetenbüro ist eine Dreizimmerwohnung aus den sechziger Jahren, besser geschnitten und gut zwanzig Quadratmeter größer als ähnliche Wohnungen in heutigen Neubauten. Eine junge Frau um die Dreißig nimmt mich in Empfang – hochgewachsen, schlank, elegant gekleidet und perfekt frisiert. Zudem harmoniert ihr Auftreten mit ihrem Aussehen.
»Wollen Sie kurz warten, Herr Kommissar?« meint sie, sobald sie meinen Namen vernimmt. »Er telefoniert gerade. Darf ich Ihnen inzwischen etwas zu trinken anbieten? Es kann nämlich ein wenig dauern. Solche Telefongespräche sind oftmals richtiggehende Sitzungen.«
Passend zur auf Hochtouren laufenden Klimaanlage bitte ich um ein Glas kaltes Wasser und gehe während der Wartezeit dazu über, die Fotografien an den Wänden zu studieren. Alle zeigen einen stets gutgelaunten, rundum glücklich wirkenden Sechzigjährigen, hier, wie er hinter dem Rednerpult steht, dort, wie er neben dem Zickleinbraten am Drehspieß mit dem Weinglas in die Kamera prostet. Zudem beeindruckt mich Andreadis’ auffallende Ähnlichkeit mit seiner Sekretärin. Daraus schließe ich, daß er seine Tochter als Vorzimmerdame eingestellt hat. Meine Annahme bestätigt sich, als mich die junge Frau in das Büro des Parlamentariers führt.
»Kommissar Charitos, Papa.«
Der Sechzigjährige erhebt sich von seinem Schreibtisch und kommt zur Begrüßung auf mich zu, mit demselben Lächeln auf den Lippen wie auf den Fotografien.
»Da sind Sie ja, da sind Sie ja!« meint er gleich zweimal, faßt mich nach dem Händeschütteln am Arm und geleitet mich nicht zum Stahlrohrsessel, der den Besuchern aus seinem Wahlkreis vorbehalten ist, sondern zum Sofa, das für die wirklich willkommenen Gäste reserviert bleibt, und worauf er neben mir Platz nimmt.
»Wie stehen Sie zu Herrn Doktor Ousounidis?«
Die Frage trifft mich völlig unvorbereitet und läßt mir die Worte im Hals steckenbleiben. Wie soll ich mein Verhältnis zu Fanis erklären? Wenn ich ihn einen »Verwandten« nenne, ist es voreilig und entspricht nicht der Wahrheit. »Zukünftiger Verwandter« kann man irgendwie nicht sagen. Wenn ich ihn als einen Freund bezeichne, was das ehrlichste wäre, klingt das vielleicht zu mickrig. Gott sei Dank hilft mir Andreadis selbst aus der Verlegenheit.
»Fanis hat mir gesagt, Sie seien sein künftiger Schwiegervater.«
»Sieht ganz danach aus«, meine ich, und wir lachen auf.
»Wissen Sie, ihm verdanke ich es, daß meine Mutter noch am Leben ist.« Nun ist er ernst geworden. »Eines Abends habe ich sie mit einem schweren Herzinfarkt ins Krankenhaus gefahren, und er hat ihr nicht nur das Leben gerettet, sondern ihren Zustand sogar stabilisiert. Seit damals läßt meine Mutter nichts auf Ousounidis kommen, und sie will weder vom Onassis-Institut noch von einer Spezialklinik im Ausland etwas wissen. Als er mich nun anrief und sagte, daß Sie mich sprechen wollten, konnte ich ihm das unmöglich abschlagen.«
Wenn es geheißen hätte, Gikas, der Minister oder selbst der Premierminister hätten sich eingeschaltet, hätte mich das wesentlich weniger verwundert. Aber Fanis? Ich hätte mir niemals vorstellen können, daß er durch ein simples Telefonat das erreicht, was selbst ein Sotiropoulos nicht geschafft hatte.
Andreadis blickt auf seine Uhr. »Stellen Sie mir nun Ihre Fragen, in Kürze muß ich leider ins Parlament.«
»Ich habe zufällig eine Sendung im Fernsehen gesehen, an der Sie nach Loukas
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