Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Live!

Live!

Titel: Live! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
Vom Netzwerk:
zwar handfeste Hinweise, konnte sie aber nicht aufdecken, da er gleichzeitig damit auch seine eigene Identität preisgegeben hätte. Eine dritte Antwort könnte sein: Er hielt Beweise geheim, um noch mehr Leute erpressen zu können. Und wen? Nun, die Angehörigen der drei Selbstmörder – Favieros’ Frau und Kinder, die Stathatou und Vakirtsis’ nächste Verwandte.
    Die dritte Antwort scheint mir die glaubhafteste, eröffnet jedoch die düstersten Aussichten. Denn auf weitere Erpressungen werden auch weitere Selbstmorde folgen. Wir sind jetzt bei drei angelangt, und meine Situation kommt mir vor wie die morgendlichen Verkehrsmeldungen im Radio: Überall Stau und kein Ausweg in Sicht.
    Das Gute an meiner gestiegenen Lektüreerfahrung ist, daß ich mir mit Logaras’ Biographien nicht mehr die Nächte um die Ohren schlagen muß. Ich war so schnell mit dem Lesen fertig, daß ich sogar noch die Abendnachrichten sehen konnte, in denen es fast ausschließlich um Apostolos Vakirtsis ging. Ich hörte mir die Meldungen und Interviews an und kam zum Schluß, daß dieser mysteriöse Logaras weitaus besser Bescheid wußte.
    Jetzt ist es zehn Uhr morgens, und ich stelle mit Koula unseren Arbeitsplan für den heutigen Tag auf. Sie soll ihren Cousin ins Feld führen und das Handelsregister erneut knacken, um Vakirtsis’ Unternehmen auszuforschen.
    »Ich weiß nicht, was ihr finden werdet«, meine ich. »Logaras sprach von Firmen mit Vakirtsis als offenem oder stillern Teilhaber. Wenn wir Glück haben, fördern wir vielleicht die Firmen zutage, an denen er offen beteiligt ist.«
    »Und was ist mit den Rechnern der Selbstmörder?«
    »Später. Zuerst wollen wir herauskriegen, welche Firmen Vakirtsis gehörten. Irgend etwas ist hier faul, aber vielleicht ist auch meine Nase schon so sehr an den Gestank gewöhnt, daß sie gar nichts mehr anderes riecht.«
    Ich verlasse die Wohnung, als Koula gerade ihren Cousin Spyrakos anruft.
    Loukas Stefanakos war Parlamentsabgeordneter des Zweiten Athener Wahlkreises und hatte sein Abgeordnetenbüro in der Dardanellion-Straße 22, in der Nähe des Volksparks von Egaleo. Ich brauche drei Stunden bis dorthin – genauso lange, wie die Überlandfahrt von Athen nach Patras dauern würde.
    Der Himmel ist von Regenwolken verhangen, und die Sonne ist nirgends zu sehen. Es ist unerträglich schwül, bis schließlich ein fünfzehnminütiges Unwetter niederprasselt und der Himmel wieder aufklart. In Athen entlädt sich das Wetter genauso wie die Aggression der Menschen: mit einem kurzen Ausbruch, während dessen die Welt unterzugehen droht, wobei danach wieder eitel Sonnenschein herrscht.
    Bis zur Pireos-Straße fließt der Verkehr zwar langsam, aber stetig dahin. Der Verkehr auf der Pireos-Straße selbst ist sogar noch flüssiger, und meine Stimmung hebt sich. Doch das Wunder ist nicht von langer Dauer. An der Ampel zur Iera Odos stoße ich auf eine endlos lange Wagenschlange, durch die sich immer wieder Streifenwagen und Ambulanzen drängen. Nach nicht einmal zehn Minuten verfluche ich Loukas Stefanakos, der zu seinem Glück schon tot ist, weil er die göttliche Eingebung hatte, sein Abgeordnetenbüro in Egaleo zu eröffnen. Was wäre denn dabei gewesen, sich in Glyfada oder Nea Smyrni niederzulassen? Doch Stefanakos, der Linke, wollte in einem traditionellen Arbeiterviertel wie Egaleo Flagge zeigen, obwohl der Arbeiterbezirk heutzutage hinter den schicken Schaufenstern nahezu verschwunden ist. Genauso wie Stefanakos hinter den Unternehmen seiner Frau.
    Zwanzig Minuten später lange ich endlich bei der Ampel vorne an. Unmittelbar danach treffe ich auf einen Auffahrunfall, in den ein Bus und drei Wagen verwickelt sind. Der Bus steht verlassen und mit offenen Türen mitten auf der Kreuzung. Ein PKW ist offenbar gegen ihn geprallt, und in der Folge haben sich zwei weitere PKWS ineinander verkeilt. Da die Kreuzung in sämtliche Richtungen gesperrt wurde, kann nur alle fünf Minuten ein Wagen passieren. Zu dem ganzen Chaos trägt zusätzlich noch ein Verkehrspolizist bei, der sich die Seele aus dem Leib pfeift.
    Als ich den Unfallort endlich hinter mir lasse, liegt die Iera Odos leer vor mir, wie die Nationalstraße am Tag vor Ostern, und ich gebe Vollgas. So gewinnt man die verlorene Zeit wieder, nur Gesundheit und Nerven bleiben unwiederbringlich geschädigt.
    Die Hausnummer 22 der Dardanellion-Straße ist ein schnell und billig hochgezogenes Wohnhaus. Auch das ist Teil des Versteckspiels in diesem

Weitere Kostenlose Bücher