Live!
hochgewachsene Ukrainerin ist schon weg und die mittelgroße ist oben geblieben. Ich halte auf das Privatcafé zu, der Thai dicht hinter mir. Erst als er sieht, daß ich die Treppe hinuntersteige, ist er überzeugt, daß ich endgültig gehe.
Der Gärtner sprengt noch immer den Rasen. »Hat Favieros keinen Chauffeur gehabt?« frage ich, als ich bei ihm anlange.
»Nein. Er ist selbst gefahren. Einen Luxus-Käfer.«
»Luxus-Käfer?« wundere ich mich.
»Einen Beetle Cabrio«, entgegnet er und wirft mir einen verächtlichen Blick zu.
10
G egen zwölf gelange ich zum Busbahnhof von Porto Rafti. Da ich ohnehin nicht mehr rechtzeitig zum Mittagessen nach Hause komme, habe ich Zeit für einen zweiten Ausflug: zu Favieros’ Baustelle im Olympischen Dorf. Ich frage den Stationsvorsteher, wo die Busse nach Thrakomakedones abfahren. Er starrt mich an, als hätte ich mich nach dem Weg zu den norwegischen Fjorden erkundigt.
»Versuchen Sie es doch mal am Vathis-Platz«, meint er. »Von dort aus fährt man in solch gottverlassene Gegenden.«
Auf dem Weg zum Vathis-Platz knurrt mein Magen und macht mich darauf aufmerksam, daß ich vom Genesungsurlaub in den Arbeitsalltag übergegangen bin, ohne meine Rückkehr feierlich zu begehen. In der Aristotelous-Straße stoße ich auf eine Souflakibude und bestelle zwei Portionen Souflaki mit Gyros und allem Drum und Dran. Ich verzehre sie im Stehen und vornübergebeugt, um mich nicht mit der Soße zu bekleckern. Der Alltag hat mich wieder. Und daß ich während meines Besuchs bei den Bauarbeitern nach Tsatsiki riechen werde, ist mir völlig egal.
Die Haltestelle in Richtung Thrakomakedones liegt direkt auf dem Platz, doch der dort wartende Bus ist zugesperrt. Der Fahrer hat sich in eine angeregte Diskussion mit dem Stationsvorsteher vertieft und schert sich einen Dreck um uns Fahrgäste.
»Wann fahren Sie denn ab?« fragt eine ältere Frau den Fahrer.
»Warten Sie, es kommt noch einer«, ist die knappe Antwort.
Der andere Bus erscheint zwanzig Minuten später, nachdem zu den fünf Fahrgästen an der Haltestelle weitere fünfzig gestoßen sind. Ich muß all meine Kenntnisse aus der Polizeischule bezüglich der Auflösung von Menschenansammlungen aufbieten, um mir den Weg in den Bus zu bahnen und einen Sitzplatz zu sichern.
Der Bus fährt endlich los, doch alle zwanzig Meter bleibt er stehen – entweder vor einer Ampel oder im Stau. Oder er bleibt an einer Haltestelle stehen. Etwa auf der Höhe von Kokkinos Mylos fallen mir die Augen zu, und mich übermannt der Schlaf. Ich höre das Stimmengewirr rundherum leise summen und träume, daß ich wieder in meinem Schmerzensbett im Krankenhaus liege, verkabelt und mit einer Sauerstoffmaske. Ich schlage die Augen auf und erblicke Adriani, die sich über mich beugt. »Wie konnte ich dich bloß heiraten!« ruft sie aufgebracht. »Nur Ängste und Sorgen hat man mit dir! Wenn du wenigstens etwas Besonderes wärst. Aber ein Bulle … Nicht gerade ein Sechser im Lotto.«
Ich wache durch eine Notbremsung auf und weiß im ersten Moment nicht, wo ich mich befinde. »Sind wir schon da?« frage ich meinen Sitznachbarn, als wüßte er, wo ich hinmöchte.
»Der nächste Halt ist die Endstation«, antwortet er, und ich atme auf.
Ich weiß nicht genau, wo das Olympische Dorf liegt, und beschließe, ein Taxi zu nehmen, um nicht unnötig lange herumzusuchen.
»Wohin?« fragt der Taxifahrer, als ich mich neben ihn setze.
»Zum Olympischen Dorf.«
Er läßt mich gleich wieder aussteigen.
»Kommt gar nicht in Frage«, meint er. »Von dort komme ich gerade. Ich bin heilfroh, daß ich meinen Wagen unbeschadet durch den ganzen Bauschutt und die Schlaglöcher manövriert habe. Suchen Sie sich einen anderen.«
Das dritte Taxi, bei dem ich es versuche, befördert mich schließlich bis zum Grenzland zwischen dem Olympischen Dorf und dem Rest der Welt. Ein Blick aus der Nähe läßt das Erscheinungsbild weniger edel wirken als die Broschüre des Arbeiterwohnbauvereins suggeriert, die uns zur Bewerbung für eine der Wohnungen ermunterte. Nach den Olympischen Spielen soll der ganze Komplex insgesamt zehntausend Mieter beherbergen. Adriani war auf den ersten Blick davon angetan, doch ich habe es ihr wieder ausgeredet. Zuerst einmal, weil ich den tagtäglichen Alptraum der Fahrt Thrakomakedones-Ambelokipi und retour nicht durchstehen würde, und zweitens, weil die öffentliche Hand in Griechenland sowieso weit mehr als zehntausend Gefälligkeiten unter Freunden
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