Live!
Häuserreihe stoße ich auf eine Gruppe von Arbeitern, die Karanikas umringen.
»Kommissar Charitos«, sage ich, als ich hinkomme.
»Kommt ihr in Schwärmen?« fragt er säuerlich, während sein Blick keinen Zweifel daran läßt, daß er mich am liebsten über alle Berge jagen würde.
»Was soll das heißen?«
»Kürzlich waren zwei Kollegen hier und haben uns einen ganzen Arbeitstag gestohlen. Jetzt sind Sie da und werden uns, wie ich voraussehe, wieder einen halben Tag klauen. Müssen wir uns auf weitere Besuche einstellen?«
»Warum fragen Sie? Schulde ich Ihnen eine Erklärung?« Er begreift, daß er zu weit gegangen ist, und reißt sich zusammen. »Diese beiden Kurden, was waren das für Leute?«
»Woher soll ich das wissen … Wie sie hießen, habe ich erst aus dem Fernsehen erfahren.«
»Haben Sie denn nicht hier gearbeitet?« frage ich überrascht.
»Doch, aber die haben so seltsame Namen, die vergißt man gleich wieder. Deshalb ist es einfacher, sie – je nachdem, woher sie stammen – bloß mit ›Albaner‹, ›Bulgare‹ oder ›Kurde‹ anzureden.«
»Habt ihr viele Ausländer auf der Baustelle?«
Der ironische Gesichtsausdruck stellt sich wieder ein. »Tja … Ich verstehe nicht, wieso wir die Anlagen für die Olympischen Spiele nicht gleich in Albanien, Bulgarien oder Kurdistan bauen lassen. Das wäre einfacher, da nur sie vom Zuschlag der Olympiade profitieren.«
»Kommen Sie schon, Sie übertreiben. So etwas sagt ihr auch noch in aller Öffentlichkeit und gebt irgendwelchen Idioten einen Grund zuzuschlagen!«
»Wissen Sie, wie viele Griechen wir auf der Baustelle sind? Zwei Ingenieure und vier Bauführer, insgesamt sechs Stück. Alle anderen kommen vom Balkan oder aus der dritten Welt.« Dann bricht es aus ihm heraus: »Wir Griechen sind Schlappschwänze, und man tanzt uns auf der Nase herum! Warum revoltieren unsere Arbeitslosen nicht, ziehen hierher und schlagen alles kurz und klein? Die einzigen, die revoltieren, sind diese – Makedonenbefreier.«
»Sie meinen die Griechisch-Nationale Vereinigung Philipp von Makedonien ?«
»Genau die. Wenn sie unter dem Kommando von Philipp von Makedonien stehen, kämpfen sie wohl für die Befreiung Makedoniens.«
»Sie sind also gleicher Meinung wie die Vereinigung?«
Er blickt mich herausfordernd an und grinst. »Legen Sie mir bloß nichts in den Mund«, sagt er, als freue er sich, meine Gedanken erraten zu haben. »Keine Ahnung, was in dem Bekennerschreiben steht. Ich weiß nur, daß ich es mit Albanern, Bulgaren, Kurden und Arabern zu tun habe. Denn die errichten das Olympische Dorf, und zwar ganz nach ihrem Geschmack. Was kann man auch von Bauarbeitern erwarten, die ein Leben lang Hütten aus Stroh und Lehm fabriziert haben?«
Ich schaue ihn lange an, doch er hält meinem Blick stand, denn er glaubt, im Recht zu sein.
»Sie konnten Favieros nicht besonders gut leiden«, sage ich schließlich.
Er zuckt gleichgültig mit den Schultern. »Das Leben ist wie Schwimmen«, meint er. »Die einen schwimmen im Geld, die anderen im offenen Meer, wieder andere in der Scheiße. Favieros schwamm im Geld. Ob man ihn zum Selbstmord getrieben hat, ob er sich aus schlechtem Gewissen umgebracht hat oder weil es ihm gelangt hat, weiß ich nicht. Und es liegt mir auch nichts daran, es zu erfahren. Ich mache meine Arbeit und bin damit zufrieden, im offenen Meer zu schwimmen, denn morgen schon kann man einen Bauführer aus Albanien an meine Stelle setzen und dann schwimme ich in der Scheiße.«
Hier bricht er unser Gespräch ab und sieht nun wieder nach der Kanalisation, in der er möglicherweise demnächst schwimmen wird.
11
U m neun läutet es an der Tür. Ich trinke gerade meinen morgendlichen Kaffee im Wohnzimmer und suche im Lexikoneintrag Gehirn nach einem Verweis auf Gehirnwäsche. Ich kann nichts finden, da 1955, als das Wörterbuch von Dimitrakos erschienen ist, der Begriff Gehirnwäsche niemanden interessierte, während er einen heutzutage bis ins Schlafzimmer verfolgt. Denn dort hat mir gestern abend Adriani gehörig den Kopf gewaschen. Und, da ich erst spät nach Hause gekommen war, das Gehirn gleich dazu. Es sei wieder alles wie gehabt, so schäumte sie, und es sei doch die Höhe, daß ich mich von Gikas übers Kreuz legen ließe und meinen Genesungsurlaub unterbräche. Dadurch werde ihre mühsame Aufbauarbeit innerhalb von zwei Tagen zunichte gemacht und –
»Komm her!«
Die Aufforderung kommt im Befehlston von der Eingangstür her, so daß
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