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erweisen muß, so daß wir folglich am Ende mit leeren Händen dagestanden hätten. Im nachhinein verstehe ich den Taxifahrer. Aus der Nähe besehen scheint über die Hälfte der Wohnhäuser erst im Planungsstadium zu stecken, und Straßen existieren noch gar nicht. Bauschutt, Aushebungsarbeiten und Schlaglöcher beherrschen das Bild.
Ich frage einen Lastwagenfahrer, der eine Fuhre rötlicher Erde befördert, wo sich die Baustelle der Firma DOMITIS befindet. Er deutet auf ein paar Gebäude in hundert Metern Entfernung, die in drei verschiedenen Farben prunken – die Ecken sind ockerfarben, das Gebäude rosa und die Balkone indigoblau.
Die Büros der Firma DOMITIS liegen in einem Bauwagen hinter den Gebäuden. Ich trete ohne anzuklopfen ein. Ein junger Mann um die Dreißig sitzt an einem der beiden Schreibtische, und ein anderer Mitte Vierzig steht vor ihm. Sie führen gerade eine hitzige Diskussion. Sie registrieren mich zwar, schenken mir jedoch keine Beachtung. Offenbar halten sie mich für einen Fertigbeton- oder Ziegellieferanten, den sie warten lassen können.
»Das kannst du mir nicht aufhalsen«, sagt der Fünfundvierzigjährige brüsk zum Jüngeren. »Ich habe die Arbeiter nicht ausgesucht, sondern ihr. Ich arbeite mit denen, die ihr mir bringt.«
»Kannst du dich nicht zwei Tage um Zone 3 kümmern?« bittet ihn der andere.
Der Ältere wirft ihm einen verächtlichen Blick zu. »Wenn ich mich zwei Tage um Zone 3 kümmere, dann verzögert sich die Fertigstellung der Kanalisation. Euch holt man direkt vom Polytechnikum auf die Baustelle, und ihr glaubt, alles funktioniert so, wie ihr es auf der Schulbank gelernt habt.«
Ohne weiteres Wort wendet er sich um und geht, wobei er die Tür des Bauwagens offenstehen läßt. Der junge Mann richtet den Blick nun auf mich.
»Ja?« fragt er müde.
»Kommissar Charitos.«
Er blickt überrascht auf, da sich der Lieferant als Bulle herausstellt. Rasch erhebt er sich und schließt die Tür. Dann bleibt er vor seinem Schreibtisch stehen und blickt mich an.
»Geht es um die Kurden?«
Dankbar nehme ich seine Frage auf. »Sind Sie früher schon mal von dieser Griechisch-Nationalen Vereinigung bedroht worden? Ich meine: Hat man Sie je aufgefordert, die hier beschäftigten ausländischen Arbeitskräfte zu entlassen …«
Seine Antwort ist eindeutig. »Nie. Den Namen dieser Organisation haben wir zum ersten Mal im Fernsehen gehört.«
»Wissen Sie, ob Ihr Chef bedroht wurde? Ist er Ihnen unruhig oder ängstlich erschienen?«
Er denkt kurz nach. »Unruhig oder ängstlich nicht …«, entgegnet er, aber offensichtlich gibt es etwas anderes, das er hinzufügen möchte.
»Sondern?«
Er denkt nochmals nach. »Besorgt … Irgendwie abwesend …«
»Hatte er Grund zur Besorgnis?«
Er hebt die Schultern. »Tja … Von privaten Sorgen weiß ich nichts. Aber in beruflicher Hinsicht … Welche Sorgen sollte er da haben? Die Aufträge sind ihm hinterhergeworfen worden …«
»Sie hatten jedenfalls nicht den Eindruck, daß er kurz vor dem Selbstmord stand?«
»Ganz im Gegenteil. Er war gutgelaunt und freundlich wie immer.« Er hält kurz inne und setzt dann fort: »Favieros hatte einen guten Draht zu den Angestellten. Nicht nur zu uns, den Ingenieuren der Baustelle, sondern auch zu den einfachen Arbeitern. Jeder konnte mit seinen Problemen zu ihm kommen. Er hatte für alle ein offenes Ohr, und alle haben ihn gemocht. Kann sein, daß auch ein wenig Show dabei war, aber er hat wirklich geholfen … Ehre, wem Ehre gebührt …«
»Und Sie haben keinerlei Veränderung in seinem Verhalten beobachtet?«
»Nein, mit Ausnahme der Sache, die ich Ihnen erzählt habe … Daß er ein bißchen besorgt wirkte … Ein bißchen abwesend. Den Grund weiß ich aber nicht …«
»Wo haben die beiden Kurden gearbeitet?«
»Bei der Kanalisation. Mit Karanikas, dem Bauführer, der gerade hier war, als Sie gekommen sind.« Man sieht, daß ihm die Wut wieder hochkommt.
»Wo kann ich ihn finden?«
»Er muß, gleich wenn Sie hier rauskommen, irgendwo zwischen der zweiten und dritten Häuserreihe sein.«
Die Aussagen des Hauspersonals in Porto Rafti haben sich bestätigt. In Favieros’ Verhalten hatte sich nichts auffällig verändert. Dennoch mußte er, um zum Selbstmord getrieben zu werden, entweder tatsächlich von der Griechisch-Nationalen Vereinigung Philipp von Makedonien bedroht worden oder in seinem Privatleben zutiefst unglücklich gewesen sein.
Zwischen der zweiten und dritten
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