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Favieros das Leben genommen. Das deutet darauf hin, daß zwischen den beiden Selbstmorden ein Zusammenhang besteht. Somit sieht sich die Regierung einem unerwarteten Problem gegenüber, dessen Lösung sich ihrem Einfluß entzieht.«
»Die Zeitungen sprechen von einem Skandal.«
»Es gibt keinen Skandal, glauben Sie mir. Das ist aber überhaupt kein Trost. Gäbe es einen, dann käme er ans Licht, es würde ein gewisser Wirbel veranstaltet, und dann wäre alles vorbei. Ein nicht vorhandener Skandal ist eine offene Wunde, die wochenlang, wenn nicht monatelang, vor sich hin schwären kann.«
»Ich verstehe, Herr Petroulakis«, sage ich und versuche mit meinem Gesichtsausdruck mein Verständnis für seine Lage zu unterstreichen. »Sagen Sie mir, wie ich Ihnen helfen kann.«
»Wir möchten, daß Sie auf ganz diskrete Weise die Gründe untersuchen, die Favieros und Stefanakos zum Selbstmord veranlaßt haben.«
»Das kann aber sehr lange dauern, ohne daß wir sicher sein können, daß wir der Sache auf den Grund gehen.« Ich überdenke kurz, ob ich weitersprechen soll. Im Endeffekt ist es besser, die Regierungskreise wissen, was auf sie zukommt – so hatte sich auch Gikas mir gegenüber ausgedrückt. Daher entschließe ich mich fortzufahren: »Es ist nicht absehbar, was wir im Verlauf der Ermittlungen alles aufdecken werden.«
Er blickt mich an, eher neugierig als beunruhigt. »Was zum Beispiel?«
Ich beginne, ihm die ganze Favieros-Geschichte zu erzählen, mit den Maklerbüros und den ausländischen Arbeitern, die Wohnungen kauften. Er hört mir ungeduldig zu und blickt in kurzen Abständen auf seine Uhr, um mich daran zu erinnern, daß er eine dringliche Sitzung hat. Als ich zu Karanikas’ Aussage komme, ist seine Geduld erschöpft, und er fällt mir ins Wort.
»Ich glaube nicht, daß Favieros’ Motiv im beruflichen Bereich lag, Herr Kommissar. Sie müssen anderswo suchen.«
»Wo denn, Herr Petroulakis? Wenn es ein privates Motiv gab, wüßten das doch seine Familie und seine Mitarbeiter. Die wissen aber nichts. Doch selbst wenn es da etwas gab, wäre es unwahrscheinlich, daß dasselbe private Problem auch Herrn Stefanakos zum Selbstmord getrieben hätte.«
»Es geht nicht um persönliche Probleme, Herr Kommissar. Es geht um diese Rechtsextremen, die behaupten, sie hätten die beiden zum Selbstmord verurteilt.«
Ich frage mich, ob ich tatsächlich den Berater des Premierministers vor mir habe. Im Vergleich dazu ist selbst die Version, die Adriani und Karanikas verfechten, nämlich daß die beiden durch den Fernsehsender erpreßt und zum Selbstmord gedrängt wurden, glaubhafter.
»Hmm«, entgegne ich so vorsichtig wie möglich. »Wenn es Morde gewesen wären, könnte ich es nachvollziehen. Selbst wenn die Rechtsextremen es nicht eigenhändig getan hätten, könnte man dem nachgehen und Anhaltspunkte finden. Aber bei Selbstmorden … Das kommt mir unwahrscheinlich vor.«
»Aber sie haben sich doch dazu bekannt.«
»Wenn wir sie fassen, werden sie alles abstreiten, und wir haben keine Handhabe, um sie vor Gericht zu stellen.«
»Und die beiden Kurden, die sie hingerichtet haben?«
»Selbst wenn wir sie kriegen, haben wir nichts in der Hand, um sie mit den Selbstmorden in Verbindung zu bringen.«
Er beugt sich vor und nimmt die Zeitung vom Tischchen. Er faltet sie auf und deutet auf eine Stelle. »Lesen Sie, und Sie werden verstehen«, meint er.
Es ist der Leitartikel. Ich lese den Abschnitt, auf den er gedeutet hat. »Das Gerücht, daß die beiden Selbstmörder durch den Sender erpreßt worden seien, ist kindisch und haltlos«, schreibt der Kolumnist. »Selbst wenn der Sender über gewisse Informationen verfügt hätte, ist es ungebührlich, auch nur zu behaupten, er hätte vorgehabt, einen bekannten Unternehmer und einen Parlamentarier zum Selbstmord zu bewegen. Ganz abgesehen von der Frage, ob einem Fernsehsender so etwas überhaupt gelingen könnte.«
»Begreifen Sie jetzt, wohin uns all dieses Larifari führen wird, Herr Kommissar? Nicht genug mit dem angeblichen Skandal, in Kürze wird auch die angebliche Erpressung durch den Fernsehsender auf dem Tapet sein. Alles deutet in diese Richtung.«
»Wer glaubt denn so etwas, Herr Petroulakis!«
»Alle«, entgegnet er, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.
Dazu hülle ich mich in Schweigen, denn bereits Adriani und Karanikas sind Anhänger dieser Theorie geworden. Die beiden Toten haben eine Schlammschlacht ausgelöst, in der sich die Opposition und
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