Live!
Sekretärin den Blick von der Tastatur heben. »Nehmen Sie einen Augenblick Platz«, meint die erste und tritt durch die Tür mit dem Baklava-Muster. Eine Minute später kommt sie wieder heraus und läßt mich eintreten.
Kariofyllis’ Arbeitszimmer sieht genauso aus wie das seiner Assistentinnen, nur die Ausstattung ist eine Qualitätsstufe besser. Der Teppichboden ist dicker, der Schreibtisch größer und die Rückenlehne des Sessels höher. Der Arbeitsplatz der Sekretärinnen wird von einem Ventilator gekühlt, während hier eine Klimaanlage läuft. Kariofyllis ist in meinem Alter, trägt Anzug, hat rabenschwarzes Haar und einen hauchdünnen Oberlippenbart, mit dem er aussieht wie ein Schmonzettensänger aus den sechziger Jahren. Bei meinem Eintritt erhebt er sich und streckt mir die Hand entgegen.
»Guten Tag, Herr Kommissar. Was kann ich für Sie tun?«
Ich nehme, ganz ungehobelter Bulle, unaufgefordert auf dem Sessel vor seinem Schreibtisch Platz und mustere ihn nachdenklich.
»Die Frage ist nicht nur, was Sie für mich tun können, sondern auch, was ich für Sie tun kann«, sage ich.
Meine Einleitung überrascht ihn, und er blickt mich besorgt an. »Ich verstehe nicht.«
Ich bedeute ihm, Platz zu nehmen, als stünde unser Gespräch unter umgekehrten Vorzeichen und er wäre bei mir im Büro zu Gast.
»Hören Sie, Herr Kariofyllis. Das, was ich Ihnen sagen werde, ist noch inoffiziell.« Die Betonung liegt dabei auf dem »noch«. Er hat die Hände auf dem Schreibtisch verschränkt und wartet offensichtlich mal ab, was auf ihn zukommt.
»Bei uns ist die Beschwerde eines Pontusgriechen eingegangen, der eine Wohnung in der Larymnis-Straße gekauft hat, in der Gegend des Konstantinoupoleos-Boulevards. Den Kauf hat ein Makler namens Jorgos Iliakos vermittelt.«
Ich frage ihn nicht, ob er das Maklerbüro kennt. Auch er geht mit keinem Wort darauf ein, doch sein Blick spricht Bände.
»Der Pontusgrieche behauptet, er habe fünfundvierzigtausend Euro bezahlt und alles unterschrieben, was man ihm vorgelegt habe, da er kein Griechisch lesen kann. Vorgestern hat ihn einer seiner Arbeitskollegen besucht, und im Verlauf des Gesprächs hat er ihm den Vertrag gezeigt. Und der Kollege erklärte ihm, im Vertrag stünden keine fünfundvierzigtausend, sondern nur fünfundzwanzigtausend Euro.«
»Hören Sie –«
Ich unterbreche ihn. »Lassen Sie mich ausreden. Glücklicherweise haben wir es mit einem Pontusgriechen zu tun. Die haben keine Ahnung von Strafanzeigen, Rechtsanwälten, Klagen … Egal, ob sie von einem Auto angefahren werden, ob ihnen eine Scheibe eingeschlagen wird oder sie um den Kaufpreis ihrer Wohnung betrogen werden, die laufen immer zur Polizei. Das ermöglicht uns, die Anschuldigung vorläufig inoffiziell zu behandeln. Ich frage Sie also inoffiziell, Herr Kariofyllis: Halten Sie es für möglich, daß im Kaufvertrag ein anderer Kaufpreis steht als der, den der Verkäufer erhalten hat?«
Ich sehe, wie sich seine Miene nach und nach umwölkt und sein Blick argwöhnisch im Raum umherschweift, ja fast verschwörerisch wird.
»Das halte ich für möglich und auch für üblich«, meint er. »Aber darüber kann ich mich nicht näher äußern.«
»Wieso nicht?«
»Weil es sich um ein Delikt handelt.«
»Welcher Art?«
Er zaudert, doch dann preßt er zwischen den Zähnen das Wort »Steuerhinterziehung« hervor.
»Ich bin kein Finanzbeamter, Herr Kariofyllis. Ich bin Polizeibeamter. Ihre Beziehungen zum Finanzamt interessieren mich nicht.«
»In der Regel geben wir einen niedrigeren Kaufpreis an, damit der Verkäufer weniger Steuern zahlt.«
»Ist das auch im vorliegenden Fall passiert?«
»Ich nehme es an.«
»Und wenn der Verkäufer tatsächlich fünfundzwanzigtausend Euro erhalten hat?«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Wenn die Differenz nicht in den Taschen des Verkäufers gelandet ist …«
»Wo dann? Beim Makler?«
Ich lasse die Frage im Raum stehen und gebe dem Gespräch eine andere Richtung. »Herr Kariofyllis, ich möchte aufrichtig zu Ihnen sein. Sie persönlich interessieren mich nicht. Wenn ich Sie morgen auf die Dienststelle zitieren müßte, würde ich das ohne Zögern tun. Wenn ich Sie festnehmen müßte, ebenso. Beim Maklerbüro von Jorgos Iliakos wäre das etwas anderes. Das gehört, wie wir erfahren haben, Jason Favieros.«
»Wem? Dem Unternehmer, der sich umgebracht hat?« fragt er unschuldig. »Was hat der denn mit dem Maklerbüro zu tun?«
Ich werfe ihm einen Blick zu,
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