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nicht locker. Er fragte, ob sie tatsächlich glaubten, daß sich ein Skandal hinter den Selbstmorden verbarg, wie die Presse schrieb. Es war ihm gelungen, die Meinungen zu spalten und die Teilnehmer dazu zu bringen, aufeinander loszugehen. Der Minister und die Linken wiesen die Behauptung empört von sich. Ersterer, weil er im Falle einer Zustimmung die Regierung in die Bredouille gebracht hätte, letztere, weil sie sonst zwei alte Genossen bloßgestellt hätten. Die einzigen, die es nicht ganz ausschließen wollten, waren ein paar Abgeordnete der Opposition. Der Minister vertrat dieselbe Theorie wie Petroulakis: Alles sei eine Aktion der Rechtsextremen. An dieser Stelle begann mir zu dämmern, daß sich dieser blanke Unsinn langsam zur offiziellen Position der Regierung verfestigte. Ich hatte erwartet, alle würden in Gelächter ausbrechen, doch wie üblich irrte ich mich. Die linken Funktionäre schlugen vehement in dieselbe Kerbe. Nur die Abgeordneten der Opposition wagten den Einspruch, das sei doch an den Haaren herbeigezogen. Doch sie wurden vom Minister in die Schranken gewiesen, der ihnen Stimmenfang am rechten Rand unterstellte, worauf aus den Elogen beinahe Beschimpfungen geworden wären.
Als ich all das hörte, kam mir Sissis in den Sinn. Der Altlinke, den ich kennengelernt hatte, als er ein altgedienter Häftling und ich ein blutiger Anfänger war. Damals war ich in die Kerker der Bouboulinas-Straße abkommandiert worden, um mir meine ersten Sporen zu verdienen. Danach verlor ich ihn aus den Augen, bis ich ihn eines Tages auf den Korridoren des Polizeipräsidiums wiedertraf. Er war wegen einer Bescheinigung gekommen, um seine Rente als Widerstandskämpfer beantragen zu können. Man ließ ihn schmoren, doch ich beschleunigte die Erledigung der Angelegenheit. Seit damals hielten wir losen Kontakt zueinander, worüber wir beide jedoch kein Wort verloren. Ich hatte diese Bekanntschaft nicht einmal Adriani eingestanden, vielleicht weil ich mich genierte, eine rote Socke unter meinen Bekannten zu haben. Ich bin sicher, daß auch Sissis es keinem erzählt hat, vielleicht weil er sich noch viel mehr genierte, einen Bullen unter seinen Bekannten zu haben. So ergab sich aus der beiderseitigen Scham eine beiderseitige Wertschätzung, selbst wenn wir sie einander niemals eingestanden hätten.
Es ist jetzt neun Uhr morgens, ich habe meinen Kaffee getrunken und mache mich zu einem Besuch bei ihm auf. Ich möchte ihn möglichst früh antreffen, weil er dann immer seine Blumen gießt und guter Laune ist. Doch das nervende Schrillen des Telefons hält mich zurück. Ich hebe ab und habe Katerina am Apparat.
»Sag mal, Papilein«, meint sie. »Wann schließt du denn endlich diese Ermittlungen ab, damit deine Assistentin nach Hause gehen kann und ich wieder zur Ruhe komme?«
»Koula?« frage ich verdutzt.
»Ja, die. Weißt du, daß sie mir das Leben zur Hölle macht?«
»Koula? Aber wie denn, Katerina?«
»Na, weil mich Mama jeden Tag anruft und sie in den höchsten Tönen lobt. Was für eine gute Hausfrau sie sei, welch tolle Auberginen Imam sie wieder gekocht habe, wie unvorstellbar schnell sie gelernt habe, gefüllte Weinblätter einzurollen. Damit macht sie mich fix und fertig.«
Mit einem Schlag begreife ich, was los ist, und lache auf.
»Ja, du hast gut lachen«, fährt Katerina fort. »Denn bislang habe ich dir nur den ersten Akt erzählt, das war die Komödie. Jetzt kommt aber der zweite, und das ist das Drama.«
»Wo liegt denn das Drama?«
»Daß sie dann mit ihren Ratschlägen anfängt. Ich solle mir doch wenigstens mal die Grundkenntnisse des Kochens aneignen. Ohne die – na ja, ich würde schon sehen. Bei mir würden ja alle ihre Bemühungen den Bach runtergehen, während sie bei Koula auf fruchtbaren Boden fielen … Vorgestern ist sie so weit gegangen, sich zu fragen, wie ich denn einen solchen Gourmet wie Fanis finden konnte, wenn ich doch nicht einmal Pommes frites braten könne. Und ich habe ihr gesagt, Fanis sei nur ein Gourmet, wenn sie ihn bekoche. Ansonsten kommt er mit Käse- und Spinattaschen über die Runden, ganz so wie ich auch. Ergo passen wir zusammen.«
Jetzt ist mir klar, worin das Drama liegt. Wenn Adriani beschließt, zum Angriff zu blasen, und die Vorwürfe nur so niederprasseln läßt, zwingt sie sogar die Serben im Kosovo in die Knie.
»Ich werde Koula raten, ein bißchen Abstand zu deiner Mutter zu halten.«
»Um Himmels willen, tu das nicht! Ich mache ja nur Spaß!« ruft
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