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Live!

Live!

Titel: Live! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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den Schweiß vom Nacken.
    »Die Hitze bringt uns noch um.«
    »Je heißer, desto besser.«
    Ich blicke ihn an, als sähe ich einen Eskimo vor mir. »Bist du noch bei Trost? Hier klappen die Leute auf der Straße vor Hitze zusammen.«
    »Ich habe in euren Kellerlöchern so viel Feuchtigkeit aufgesogen, daß ich von der Hitze gar nicht genug kriegen kann.«
    Das war zu erwarten gewesen. Jedesmal, wenn er etwas scheinbar Irrwitziges behauptet, folgt die Stichelei gegen die Bullen auf dem Fuße.
    Wie gewöhnlich tue ich so, als hätte ich es nicht bemerkt, um ihn nicht noch mehr zu reizen.
    »Deine Weisheit ist gefragt.«
    »Wegen Favieros oder wegen Stefanakos?«
    »Fangen wir zunächst einmal bei Favieros an, immer schön der Reihe nach.«
    »Einer der führenden Köpfe der Studentenbewegung, Vorreiter in den politischen Kämpfen und Besetzungen, Teilnahme am Aufstand im Polytechnikum. Dann Bouboulinas-Straße, Militärpolizei, Folterhaft. Das volle Programm.«
    »Wie kam es dazu, daß er später überall die Finger im Spiel hatte?«
    »Weil er Unternehmer geworden ist. Er paßte sich den wachsenden Dimensionen seiner Firmen an.«
    »Und die Firmen zwangen ihn, sich zum Beschützer der ausländischen Arbeiter aufzuwerfen und ihnen dann hinterrücks überteuerte Bruchbuden zu verkaufen?«
    Bei ihm kommt es immer dann zu einem Ausbruch, wenn man es am wenigsten erwartet. So auch jetzt. »Jahr für Jahr habt ihr es darauf angelegt, uns eine Reueerklärung zu entlocken«, schreit er mich an. »Kellerlöcher, Verbannung, Folter, nur um uns zu einer Unterschrift zu zwingen. Jetzt unterzeichnen wir sie freiwillig – mit Firmengründungen, Börsenspekulationen, Unternehmensgewinnen. Von so einem Erfolg hättet ihr nicht einmal zu träumen gewagt. Ihr habt gewonnen, was wollt ihr mehr!«
    »Ich? Nichts! Die behaupten doch lautstark, sie setzten sich für die Verfolgten ein.«
    »Komm schon, es gibt keine Verfolgten mit Wählerstimme!« schreit er. »Die wirklich Verfolgten kommen von draußen, die machen kein Kreuzchen, also zählen sie nicht. Die einzigen Verfolgten mit Stimmrecht sind die Raucher! Wenn die Partei Grips hätte, würde sie eine Demo für die Rechte der Raucher organisieren mit der Parole: Auf, ihr Verdammten dieser Erde! Sie hätten einen Riesenzulauf!«
    Wenn ihn tiefste Verzweiflung packt, kann man unmöglich mit ihm reden. Beim kleinsten Anlaß geht er in die Luft. Ich beschließe, nicht auf Favieros zu beharren, sondern zu Stefanakos überzugehen. Vielleicht reagiert er bei ihm etwas gelassener.
    »Und Stefanakos?«
    Sein Blick leuchtet. »Da brauchst du gar nicht zu suchen. Über ihn wirst du nichts finden, auch nicht in der Gegenwart«, meint er. »Er hat nicht aufgegeben. Er hat sich bis zum Schluß eingesetzt.«
    »In Ordnung, Lambros«, sage ich besänftigend. »Beide waren moralisch unantastbar. Aber kannst du mir dann sagen, warum sie sich umgebracht haben?«
    »Macht dich die Art des Selbstmords nicht nachdenklich?«
    »Sehr. Und ich kann nicht begreifen, wieso sie damit an die Öffentlichkeit gegangen sind.«
    Er blickt mich sinnierend an. Etwas liegt ihm auf der Zunge, doch er zögert. »Wenn ich dir meine Erklärung sage, dann hältst du mich für verrückt«, sagt er schließlich.
    »Sag schon. Ich weiß, daß du nicht verrückt bist.«
    »Weil sie nicht mehr konnten. Sie wußten nicht mehr weiter. Der eine trotz seiner Unternehmen, und der andere trotz seines politischen Erfolgs. Deswegen haben sie es öffentlich getan, um die Welt aufzurütteln.«
    Er bemerkt meinen argwöhnischen Blick und wiegt den Kopf. »Du glaubst mir nicht, weil du ein Bulle bist und es nicht nachvollziehen kannst. Geld, Ansehen, Macht – irgendwann steht dir der Sumpf bis zum Hals, und du holst zum Befreiungsschlag aus.«
    Stefanakos’ letzte Worte kommen mir in den Sinn: Ich hoffe, daß wir nicht umsonst gestorben sind, oder so ähnlich. Vielleicht ist an Sissis’ Erklärung was dran, obwohl ich fürchte, die Dinge liegen etwas komplexer. Aber das sage ich ihm nicht. Ich will ihm seine naive Illusion nicht rauben.
    »Schau nicht nur dann vorbei, wenn du meine Hilfe brauchst«, meint er, als ich gerade die Treppe hinuntergehen will.
    Ein anderer wäre jetzt beleidigt. Ich aber nicht, da ich ihn mittlerweile gut kenne. Ich weiß, daß er mir so auf seine Weise zu verstehen gibt, daß er gern mit mir Kaffee trinkt.

23
    I ch finde Koula allein im Wohnzimmer vor. Sie sitzt vor ihrem Computer und bringt die Dateien auf

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