Live Fast, Play Dirty, Get Naked
allesamt auf mich ein – Mum und Doc Sam … die Jugendlichen in Cranleigh Farm, Nancy und Joe … William und die drei Männer … die Werkstatt, die Waffen … wie die Männer mich verfolgt hatten …
Und danach Curtis …
Gott …
Ich drehte mich um, schloss die Augen und vergrub den Kopf in meinem Kissen.
Ich wollte an nichts davon denken, ich wollte, dass alles einfach verschwand, aber ich wusste, dass das nicht passieren würde. Nicht passieren konnte . Das alles war geschehen, und was geschehen ist, verschwindet nicht einfach wieder. Du kannst deinen Kopf im Kissen vergraben und so viel Tränen vergießen, wie du willst, es macht keinen Unterschied.Es wird nichts ändern . Was geschehen ist, ist geschehen und wird es für immer bleiben. Irgendwann musst du damit zurechtkommen.
Du musst aufhören zu weinen …
Die Augen öffnen.
Den Kopf aus dem Kissen nehmen …
Und damit zurechtkommen.
Du musst dir Fragen stellen – die Männer, mit denen William zusammen war, das waren doch IRA-Leute, oder? Pistolen, Maschinengewehre, Material zum Bombenbauen … was sollen sie sonst gewesen sein? Und wenn sie tatsächlich in der IRA sind, was bedeutet das? Ist William einer von ihnen? Ist er in der IRA? War das andere alles gelogen? Das mit seiner Mutter, seinem Vater, mit Nancy … dem Grund, weshalb sie in England sind … war das alles nur Tarnung für den wahren Grund, weshalb er hier ist? Ich meine, glaubst du tatsächlich daran, dass William in eine IRA-Verschwörung verstrickt ist, die in London einen Bombenanschlag verüben will?
Und wenn ja, musst du dir auch die Frage stellen: Was willst du dagegen tun?
Ich weiß es nicht.
Und was ist mit Curtis? Was machst du mit ihm? Gehst du einfach davon aus, dass alles vorbei ist zwischen euch? Willst du, dass es vorbei ist? Was ist, wenn er sich entschuldigt für das, was er gesagt hat und wie er dich behandelt hat? Könntest du ihm verzeihen? Willst du ihm verzeihen?
Nein …
Ich weiß es nicht.
Und was ist mit der Band? Was bedeutet das Ganze mit William und Curtis in Bezug auf die Band? Ist das auch allesvorbei? Ist Naked am Ende? Und wenn ja, macht es dir etwas aus?
Ich weiß es nicht.
Was weißt du denn?
Im Moment weiß ich nur, dass ich unten meine Mum höre, dass sie ganz glücklich und zufrieden klingt, und das könnte bedeuten, dass sie zurechtkommt … und ich könnte im Moment auch gut was brauchen, womit ich zurechtkomme …
Ich stand auf, zog mich an und ging nach unten.
Es war immer schwierig zu sagen bei Mum. In der einen Minute konnte sie einigermaßen normal sein und in der nächsten total durchdrehen. Sie konnte auch wochenlang völlig okay sein und plötzlich wieder die Kontrolle verlieren. In den folgenden Wochen oder gar Monaten war dann alles möglich – dass sie trank, depressiv war, überdreht, erschreckend. Dass sie die ganze Zeit schlief, krank war, besessen, unerträglich …
Doch als ich an dem Tag runterkam und sah, wie sie mit Laura in der Küche saß, war ich mir so sicher, wie ich nur sein konnte, dass sie – im Moment zumindest – wirklich gut drauf war. Ihre Augen strahlten, sie wirkte frisch und glücklich und klang auch so, und das Lächeln, mit dem sie mich begrüßte, als ich in die Küche kam … also, das war einfach ihr Lächeln. Ihr wahres Lächeln. Und es tat so gut, dieses Lächeln zu sehen, dass ich fast wieder anfing zu weinen.
»Alles in Ordnung, Schatz?«, sagte sie und stand auf, um mich in den Arm zu nehmen. »Wie war das Konzert letzte Nacht?«
»Ja … doch, war gut, danke.«
Sie hielt mich auf Armeslänge von sich und schaute mir in die Augen. »Ist wirklich alles in Ordnung mit dir? Du siehst ein bisschen …«
»Nein, ich bin okay … wirklich. Nur etwas müde.« Ich lächelte sie an. »Und wie geht’s dir?«
»Könnte nicht besser gehen«, sagte sie und lächelte zurück. »Besonders jetzt, wo du da bist. Bleibst du ein Weilchen?«
»Hm, ich weiß nicht.«
»Hast du Lust, heute Nachmittag mit Laura und mir shoppen zu gehen?«
»Shoppen?«
»Wir gehen nur nach Hampstead, weißt du … in die Läden im Viertel.« Sie nahm meine Hand und drückte sie. »Komm schon, Lili … wir haben schon eine Ewigkeit nichts mehr zusammen unternommen. Das wird lustig.«
Es war zwar nicht meine Vorstellung von lustig – den ganzen Nachmittag durch Geschäfte zu latschen, Klamotten, Schuhe und weiß der Himmel was anzugucken –, aber ich dachte, vielleicht hilft es ja, mich auf andere Gedanken zu
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