Live Fast, Play Dirty, Get Naked
Knöpfen, die gedruckten Anweisungen, was im Notfall zu tun war –, aber erst als der Aufzug den siebten Stock fast erreicht hatte, wurde mir klar, was ich tat. Ich schaute nicht einfach nur alles an, ich versuchte Williams Gegenwart zu spüren. Ich versuchte mir vorzustellen, wie er jeden Tag mit dem Aufzug rauf- und runterfuhr, versuchte mir sein Gesicht vorzustellen, seine Augen, seine Gedanken, seine Gefühle …
Der Aufzug machte ping .
Und blieb stehen.
Siebter Stock.
Die Tür ging auf und ich trat hinaus auf den Flur. Er war leer. Eine einsame Stille lag in der Luft, und als ich mich nach rechts wandte und den Flur entlangging, war es, als läge im Widerhall meiner Schritte auf dem harten Linoleumboden die Erschöpfung uralter Echos.
Vor der Tür am Ende des Flurs blieb ich stehen und ging im Kopf noch einmal durch, ob ich hier richtig war. Das Fenster war das letzte zu meiner Linken gewesen, als ich mit dem Blick zum Hochhaus stand, dann musste es jetzt, da ich im Haus war und in die andere Richtung schaute, die letzte Tür rechts sein.
Stimmte das?
Ich war mir ganz sicher.
Ich hob die Hand, um zu klopfen, dann zögerte ich …
Was, wenn ich verkehrt lag? Wenn es nicht die rechte Wohnung war? Oder was, wenn es die rechte Wohnung war , ich mich aber in allem anderen geirrt hatte? Wenn das Mädchen im Tanktop, das ich am Fenster gesehen hatte, gar nicht das Mädchen im Tanktop war, sondern irgendein anderes Mädchen in einem Tanktop? Oder was, wenn sie zwardas Mädchen im Tanktop war , sie aber bloß die Frau besucht hatte, die hier wohnte … wenn die Frau, die hier wohnte, gar nicht Nancy war, sondern irgendeine andere Frau, die nur zufällig aus dem Fenster geschaut hatte, um zu sehen, ob es noch regnete oder so? Und was, wenn …?
»Hör auf «, sagte ich leise zu mir. »Verdammt noch mal, hör jetzt auf und beeil dich.«
Ich holte tief Luft, atmete langsam wieder aus und klopfte.
»Wer ist da?«
Es war eine Frauenstimme, ein nordirischer Akzent.
Ich beugte mich dicht an die Tür und sagte: »Ich heiße Lili, ich bin eine Freundin von William. Wir spielen zusammen in der Band –«
»Wie heißt du mit Nachnamen?
»Wie bitte?«
»Dein Nachname, wie du mit Nachnamen heißt?«
»Garcia.«
»Wie heißt die Band?«
»Naked.«
»Welches Instrument spielst du?«
»Bass. Ist William –?«
»Nenn mir einen eurer Songs.«
»Was?«
»Nenn mir den Titel von einem eurer Songs.«
»Äh … einer heißt Heaven Hill . Und ein anderer –«
»Ist gut, einen Moment.«
Ich hörte, wie jede Menge Sperren gelöst wurden – Riegel, Ketten, Schlösser –, dann flog die Tür auf und ich stand direkt vor der Frau, die ich am Fenster gesehen hatte. In meinem Kopf gab es kaum Zweifel mehr, dass sie Nancy war – wersonst hätte mir all diese Fragen gestellt? –, und das Lächeln in ihrem Gesicht, als sie die Tür aufmachte, reichte aus, um auch die letzte Unsicherheit aus meinen Gedanken zu verscheuchen. Es war ein wohlwollendes Lächeln – freundlich, herzlich und offen –, doch es lag auch Besorgnis darin. Ein müdes, trauriges Lächeln … das Lächeln einer erschöpften Seele.
»Hallo, Lili«, sagte sie. »Wie schön, dich endlich kennenzulernen. William hat mir alles über dich erzählt. Ich bin übrigens Nancy.«
Ich nickte, auf einmal unsicher, was ich sagen sollte.
Nancy lächelte wieder. »Willst du nicht reinkommen?«
»Äh … nein«, murmelte ich. »Nein, danke … ich … ich hab nur –«
»Du bist ja klatsch nass«, sagte sie und sah mich an. »Wieso kommst du nicht kurz rein und machst dich trocken?«
Sie trat einen Schritt zurück und öffnete die Tür, um mich reinzulassen.
Ich zögerte einen Moment, nicht ganz sicher, wieso ich eigentlich zögerte, aber dann trat ich mit einem verlegenen Lächeln ein.
Bevor ich sie nach William fragen konnte – der offensichtlich nicht da war –, führte mich Nancy schon ins Badezimmer, gab mir ein Handtuch und verschwand, um trockene Sachen für mich zu holen. Ich versuchte ihr zu sagen, sie solle sich keine Mühe machen, mit mir sei alles in Ordnung, doch sie bestand darauf.
»Hier«, sagte sie, als sie mit einem T-Shirt und einer Jeans zurückkam. »Ich denke, die müssten dir passen. Wir haben ja fast dieselbe Größe.«
»Danke …«
Sie lächelte. »Ich geh dann mal und mache uns Tee, ja?«
»Ja.«
Die Sachen waren mir ein bisschen zu weit, doch es war schön, endlich wieder was Trockenes anzuhaben. Und obwohl sie mir nicht
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