Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Live

Live

Titel: Live Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein Thriller
Vom Netzwerk:
trotzdem blieb er bei ihm.
     
    Wen hatte er denn sonst noch auf der Welt?
     
    Häufig, im Krankenhaus, hatte er Weinkrämpfe, wenn er wußte, daß er allein war, daß die Schwestern draußen auf dem Gang ihre Runde liefen Bitte, Gott , dachte er dann. Was soll ich denn tun? Er ist doch mein Vater. Bitte, hilf mir. Was soll ich tun? Ich habe Angst, nach Hause zu gehen. Ich habe solche Angst. Er wird mich umbringen. Gott, laß es nicht zu.
     
    Und da hatte Joshua geweint. Die ganze Nacht lang. Trockenes, kaum verständliches Schluchzen, das eine der Nachtschwestern hörte, als sie an der Tür stand und das Kind mit einem bedauernden Kopfschütteln beobachtete.
     
    Das ganze Krankenhaus wußte über Joshua Dannerman Bescheid.
     
    Die Nachtschwester hatte die Tür so leise wie möglich wieder geschlossen.
     
    „Du mußt es uns sagen“, murmelte sie und war sich sicher, daß der Junge niemals reden würde. Er liebte seinen Vater. Immer noch. Das war Wahnsinn.
     
    „Wir können dir nicht helfen, wenn du es nicht sagst, Josh.“
     
    Sie hatte ihren Kopf erneut geschüttelt und ihre nächtliche Runde fortgesetzt. Vielleicht wird er ihn beim nächsten Mal töten , hatte sie gedacht. Ja, ich glaube, das wird er tun. Wie kann ein Kind so ein Monstrum noch lieben?
     
    Einen Monat später war Joshua aus dem Krankenhaus entlassen worden, noch mit einem schweren Gipsverband, das sein Bein stützte, weil es sein Gewicht kaum zu tragen vermochte, als sein Vater ihn abholen kam.
     
    Der alte Mann hatte sich so gut angezogen wie schon lange nicht mehr. Er hatte Josh angelächelt, als sein Sohn – von einem kleinen Pulk Ärzte und Krankenschwestern begleitet – aus dem Krankenzimmer den Gang herunterkam.
     
    Der alte Mann hatte gegrinst.
     
    Das Lachen hatte niemals die Augen erreicht.
     
    Du kannst die meisten vielleicht täuschen, Dad ,  hatte Josh gedacht. Vielleicht diejenigen, die meine Verletzungen nicht gesehen haben. Vielleicht die Empfangsschwestern unten am Ausgang. Ja, ich glaube, die hast du getäuscht.
     
    Die braunen Augen. Die gnadenlosen Augen.
     
    Er wird mich töten. Beim nächsten Mal wird er mich töten.
     
    Und dann hatte sich eine der Schwestern – es war die Nachtschwester gewesen, die ihn in einer der Nächte beobachtet hatte – zu ihm herunter gebeugt, ihm einen Zettel in die Hand gedrückt und ihm zugeflüstert:
     
    „Wenn du Angst hast, dann ruf mich an. Wenn er dich bedrohen sollte, dann ruf die Polizei. Sei vorsichtig. Er ist nicht wert, daß du für ihn stirbst, Josh.“
     
    Josh hatte genickt und Tränen in den Augen gehabt. Er wollte sie umarmen, ihre Wange küssen, aber die Krankenschwester war schon verschwunden gewesen, zurück in den Pulk aus Krankenhauspersonal gegangen, der ihre Figur verschlang und nur noch eine unübersehbare Masse von weißen, antiseptisch wirkenden Uniformen hinterließ.
     
    Der alte Mann hatte versucht, ihm den ersten Schlag schon direkt außerhalb des George Washington Krankenhauses zu verpassen. Es wäre nur ein leichter Schlag gewesen, nicht mehr als ein kurzes Rucken gegen den Hinterkopf, aber Josh hatte sich schnell geduckt und die Finger seine Vaters griffen ins Leere.
     
    „Wenn wir zuhause sind“, hatte er geknurrt.
     
    Etwas in den Augen des alten Mannes hatte gebrannt. Mehr als Haß. Mehr als Wahnsinn. „Ich werde dir eine Tracht Prügel verpassen, die Du in deinem Leben nicht mehr vergessen wirst. Mit Leuten vom Jugendamt reden, hm? Mit dieser Fotze vom Sozialamt. Diese verfickte Möse war in meiner Wohnung, weißte das? In meiner gottverfickten Wohnung! Wollte mir vorschreiben, wie ich mein Kind zu erziehen habe! Niemand tut das. Niemand tut das mir an!“
     
    Josh hatte nichts gesagt, war aber stehengeblieben, obwohl sein Vater an seinem Arm gezerrt hatte, um ihn die 13te Straße herunterzuziehen. Joshs Bein hatte furchtbar wehgetan. Er hatte das Gefühl gehabt, daß er keinen einzigen Schritt mehr laufen konnte. Aber den alten Mann zu fragen, ein Taxi für sie beide zu rufen, wäre in diesem Moment Selbstmord gewesen.
     
    „Komm mit“, hatte ihm sein Vater gesagt.
     
    „Nein.“
     
    Die Augen des alten Mannes wurden für einen Augenblick unglaublich, unmöglich  groß, so, als würden sich die Augenhöhlen verkleinern und die Augäpfel nach außen pressen wollen. Es sah beinahe so aus, als hätte sich der alte Mann in eine Zeichentrickfigur verwandelt.
     
    Jede der Bewegungen wirkte grotesk. Der Mund öffnete sich, schloß

Weitere Kostenlose Bücher