Liz Balfour
Thema. Die Tür der Pine Lodge ging auf, und der Fiddler rief nach ihm. Cathal drehte sich kurz um und winkte ihm zu.
»Unverändert«, sagte ich. »Ich bin gerade auf dem Weg zu ihr.«
Cathal nickte. »Schlimm, schlimm«, sagte er. Der Fiddler rief ein weiteres Mal nach ihm, aber diesmal reagierte der alte Mann gar nicht auf ihn. »Können wir uns kurz unterhalten?«, fragte er mich.
»Tun wir das nicht gerade?« Ich wurde langsam ungeduldig, weil ich endlich losfahren wollte, um Deirdre zu sehen.
»Nein, wir dreschen nur Phrasen. Ich würde mich gerne mit dir unterhalten.« Als ich zögerte, fügte er hinzu: »Ich weiß, was du denkst. Du denkst, was will der Alte von mir? Und du fragst dich, ob du Angst vor mir haben musst.« Er schüttelte den Kopf. »Hör zu, ich bin über siebzig. Ich war deinem Vater so was wie der nette Onkel, bei dem er sich auskotzen konnte. Deine Mutter war mir gegenüber genauso misstrauisch, wie du es jetzt bist, und ich war anfangs auch eher auf Abstand, sobald sie aufkreuzte. Aber über die Jahre haben wir gelernt, uns zu respektieren.«
»Über was wollen Sie mit mir reden?«, hakte ich nach.
»Colin. Ich habe Deirdre gesagt, dass sie es dir sagen muss. Wir haben nie wirklich geredet, Deirdre und ich, wir haben immer einen Bogen um das Thema Colin gemacht, aber einmal, nur ein einziges Mal habe ich sie gefragt: Weiß deine Tochter, was passiert ist? Und sie hat gesagt: Wenn es so weit ist, sage ich es ihr. Aber du weißt
es immer noch nicht … Eigentlich ist es nicht meine Aufgabe. Eigentlich sollte ich sagen: Was geht’s mich an? Das Mädchen fliegt irgendwann wieder nach London, ihr geht’s gut, wie es ist, lassen wir sie in Ruhe. Aber ich finde, man muss wissen, woher man kommt. Und dazu gehört auch, über seine Eltern Bescheid zu wissen. Jeder hat ein Recht darauf. Und weil Deirdre nicht mit dir reden kann … Was ist, wenn sie nicht mehr aufwacht? Du musst es doch erfahren.«
»Was war mit meinem Vater?«, fragte ich atemlos, und mein Herz schlug bis zum Hals. Wovon sprach Cathal? War mein Vater doch nicht mein Vater? War es das?
Cathal schloss für einen Moment die Augen und kratzte sich wieder den Handrücken. Nach schier unendlichen Sekunden sagte er endlich: »Ich muss dir sagen, wie er gestorben ist.«
Eben hörte ich es von einem Freund. Du bist schwanger von Colin…
Möge euer Kind gesund zur Welt kommen und ein glücklicherer Mensch werden, als wir es waren.
M.
28.
»Hast du dich je gefragt, warum es kein Grab gibt?«
Cathal hatte mich zu der Stelle geführt, an der mein Vater vor zehn Jahren seinen tödlichen Unfall gehabt hatte. Ich parkte am Straßenrand und wagte nicht, den alten Mann anzusehen aus Angst, was er mir erzählen würde. Im Mietwagen war es warm und stickig, weil die Sonne strahlend hell schien. Ich öffnete ein Fenster, aber es kam nur ein ganz sanfter Luftzug herein. Der Mietwagen roch immer noch neu, obwohl er schon achttausend Kilometer auf dem Tacho hatte. Seltsam, auf was man alles achtete, wenn die Nerven zum Zerreißen angespannt waren.
»Er wollte eine Seebestattung«, sagte ich, und mein Blick schweifte durch das offene Seitenfenster aufs Meer. Es lag ruhig und tiefblau, wie ein dunklerer Spiegel des Himmels.
»Es wird heute Nacht Regen geben«, sagte Cathal unvermittelt. »Ich kann ihn schon riechen.«
Irritiert sah ich mich nach allen Seiten um. Die weißen Wölkchen am Horizont waren verschwunden, es gab nicht den geringsten Hinweis auf Regen. Wie kam er denn jetzt darauf? Ich fragte mich ernsthaft, ob Cathal vielleicht nicht ganz richtig im Kopf war. Bevor ich etwas erwidern konnte, sagte er:
»In der Nacht, in der dein Vater starb, hat es auch geregnet. Es war ein Tag wie heute. Den ganzen Tag strahlend blauer Himmel, und nachts kam der Regen, aus dem Nichts. Deshalb fiel es auch allen so leicht, daran zu glauben, dass es ein Unfall war.« Er drehte sich zu mir um. Wir sahen uns an. »Bist du bereit?«
Ich schluckte und nickte.
»Ich habe Colin in der Pine Lodge kennengelernt. Das ist nun schon dreißig Jahre her. Er kam erst nur an den Wochenenden, dann immer häufiger, und schließlich trank er dort jeden Abend. Auch das steigerte sich von zwei, drei Bier zu etwas, bei dem sogar der Wirt fast nicht mehr mit dem Zählen hinterherkam. Wir Iren trinken alle viel, aber Colin …«
»Ich weiß«, unterbrach ich ihn. Es tat mir weh, es zu hören. Es war schon schlimm genug, dass ich selbst mit diesem Gedanken jeden
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