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Liz Balfour

Liz Balfour

Titel: Liz Balfour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ich schreib dir sieben Jahre
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katholisch hin oder her, aber er wollte nicht. Ich sagte ihm: Wander einfach aus, lass alles hinter dir, du kannst deine Tochter ja noch sehen, und ein Kind hat doch mehr von einem Vater, dem es gut geht, als von einem, der sich zugrunde richtet. Aber nein. Er trank lieber und suhlte sich in Selbstmitleid. Glaub mir, ich hab ein paar Jahre mehr Lebenserfahrung als du. Deine Mutter hat alles getan, um ihn glücklich zu machen, und sie war dabei selbst unglücklich. Das einzige wirkliche Glück in ihrem Leben warst du.«
    Wenn ich nach dem Gespräch mit Siobhan noch leise Zweifel gehabt hatte, sie könnte mir all diese Dinge nur deshalb gesagt haben, weil sie meine Tante war und mich trösten wollte, so waren diese Zweifel nun endgültig vom Tisch. Ich sah Cathal fest in die Augen.
    »Vielen Dank, dass Sie mir das alles erzählt haben. Es war mir sehr wichtig. Ich glaube, Sie wissen gar nicht, wie viel es mir bedeutet.«
    Er nickte. »Ich bin froh, dass du das sagst. Ich musste es dir sagen, aber ich hatte Angst, du könntest ganz anders reagieren.«

    »Es tut weh«, gab ich zu. »Natürlich tut es weh. Aber gleichzeitig tut es gut, das alles zu wissen. Ich hatte immer das Gefühl, dass mit seinem Tod etwas nicht stimmte, aber ich wusste nicht, was. Es gab ja keine Anzeichen dafür, dass es etwas anderes war als ein Unfall.«
    »Es hat keiner wirklich gewusst. Deine Mutter und ich waren die Einzigen, und auch wir haben nie wirklich darüber gesprochen. Ich muss auch sagen, dass ich es ihm übel nehme. Nicht, dass er sich umgebracht hat. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Aber wenn man schon in den Tod geht, dann sollte man auch dafür sorgen, dass andere nicht mit reingezogen werden. Der arme Kerl, der ihn überfahren hat, rennt bestimmt heute noch zum Therapeuten. Ein Amerikaner, weißt du.« Cathal lächelte schief. »Das war nicht sauber. Aber Colin war auch nicht mehr ganz … Herr seiner Sinne. Sein Urteilsvermögen … du weißt schon.«
    »Ja. Danke.«
    »Du willst jetzt sicher allein sein. Ich lass dich mal in Ruhe.« Der alte Mann öffnete die Beifahrertür.
    »Ich fahre Sie zurück zum Pub«, sagte ich.
    »Lass mal. Ich laufe. Das hält mich fit. Du musst nach dir sehen, nicht nach mir.« Er stieg aus, winkte und schlug die Tür zu. Dann ging er davon.
    Ich blieb noch eine Weile sitzen. Mein Vater hatte sich also umgebracht. Und ich dachte, ich hätte das große Geheimnis im Leben meiner Mutter schon in den Briefen gefunden. Wie musste sie sich nach seinem Tod gequält haben, wie musste das schlechte Gewissen an ihr genagt haben! Ich sollte direkt ins Krankenhaus fahren und ihr sagen, dass ich alles weiß. Und dass ich nicht denke, dass
sie irgendeine Schuld trägt. Sie hatte ihn sicherlich geliebt. Nur eben nicht so sehr wie Naoise. War das denn ihre Schuld? Cathal hatte recht, mein Vater hätte einfach gehen können, aber das hatte er nicht getan. »Die Hölle, das sind die anderen«, hieß es bei Sartre. So mochte es Colin gesehen haben. Aber die Hölle, das war man immer selbst.
     
    Ich spürte, dass ich viel zu aufgewühlt war, um direkt zu Deirdre zu fahren. Ich wollte erst mit jemandem reden, um meine Gedanken zu ordnen. Jemanden, der mich verstehen konnte: Eoin. Ich hätte mich längst bei ihm melden müssen, ihm sagen müssen, dass ich wieder da war. Aber ich war sicher, dass er mir nicht böse sein würde. Besonders, wenn er erfuhr, was seit unserer letzten Begegnung alles geschehen war. Wenn ich nur daran dachte, hatte ich das Gefühl, in einem Karussell zu sitzen, das sich viel zu schnell drehte und noch an Geschwindigkeit zulegte.
    Ich fuhr zu seinem Gestüt und parkte auf dem Zufahrtsweg. An der Tür des Wohnhauses hing ein gedrucktes Schild: »Bitte im Stall melden«. Ich klopfte also gar nicht erst, sondern ging gleich zu den Stallungen.
    Sie befanden sich in einem großen, u-förmigen Gebäude und ließen Platz für fünfzig Tiere. Neben den Stallungen gab es ein großes Dressurviereck, und um die Stallungen herum lagen die Paddocks, Koppeln und teilweise mit kleineren Bäumen und Sträuchern bepflanzte Wiesen. Ich konnte die Zäune, die Eoins Land begrenzten, mit bloßem Auge nicht ausmachen. Kein Wunder, dass Oliver Jenkins sich an Eoin die Zähne ausgebissen hatte – wer würde dieses wunderschöne Stück Land aufgeben,
um es mit Ferienwohnungen und Supermärkten bebauen zu lassen? Nur jemand ohne Herz und Sinn und Verstand würde das tun. Ich dachte kurz daran, dass ich Jenkins

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