Liz Balfour
Vielleicht hatte ich nicht gut geschlafen, vielleicht ist es einfach nicht gut, wenn ich Deirdre sehe, weil wir uns nicht verstehen und ich das nicht akzeptieren kann, vielleicht sind irgendwie alte Wunden aufgerissen … Ich habe keine Ahnung. Aber es war wie ein verzögerter Schock. Erst nach der Landung fing es so richtig an, in mir zu arbeiten, und jetzt …« Ich schluckte.
Benjamin nahm meine Hand und sagte: »Ally, wir haben den ganzen Nachmittag für uns, wenn du willst. Niemand erwartet uns in der Kanzlei. Wir sind erst abends mit Leslie und Beatrice verabredet. Was machen wir mit der ganzen freien Zeit?« Er versuchte es wie einen Witz klingen zu lassen, aber ich spürte, dass es ihm genauso davor graute wie mir, diesen Gedanken ausgeliefert zu sein, die meine Mutter ausgelöst hatte. Er wollte mir einen Gefallen tun und bot mir das an, worum wir monatelang einen Bogen gemacht hatten: offen über Kinder zu reden.
»Wir könnten eine Runde Tennis spielen. Oder ins Kino gehen«, schlug ich hilflos vor. »Wolltest du dir nicht einen neuen Anzug machen lassen? Was ist mit deinem Auto, du hast doch letztens noch davon gesprochen, es zu verkaufen und dir ein neues zu holen. Wir könnten eine Probefahrt machen … irgendwas …«Ich hielt inne, als ich sein Gesicht sah. Er hatte die Augen geschlossen und rieb sich mit einer Hand die Stirn.
»Du bist noch nicht so weit?«, fragte er leise.
Ich schwieg, Tränen in den Augen.
Er sagte: »Schon gut. Mir ist gerade eingefallen, dass
ich noch ein paar Unterlagen durchgehen muss. Ist das okay für dich?«
Natürlich war es das. Wir mussten jetzt beide allein sein. Jeder für sich.
Benjamin und ich hatten alles. Wir waren gesund, wir liebten uns, wir hatten Erfolg im Beruf und eine gesicherte Zukunft. Es gab keinen Grund, warum wir nicht auch Kinder haben sollten. Warum wir noch keine hatten, lag an mir.
Anderthalb Jahre zuvor hatte mir meine Frauenärztin mitgeteilt, dass ich schwanger war. Das Ausbleiben der Regel hatte ich auf Stress geschoben, schließlich nahm ich die Pille.
»Vielleicht hat der Stress bei Ihnen wirklich etwas im Hormonhaushalt durcheinandergebracht«, sagte die Ärztin. »Haben Sie die Pille nicht regelmäßig genommen? Vor lauter Terminen ab und zu vergessen?«
Ich zuckte die Schultern. »Nicht dass ich wüsste.« Zerstreut sah ich mich im Behandlungsraum um: Es war ein sehr großer, heller Raum voller technischer Geräte. Unter der Decke hing ein riesiger Monitor, auf dem die Patientinnen während der Ultraschalluntersuchungen alles mit ansehen konnten, wenn sie wollten. Trotz der ganzen Technik empfand ich die Atmosphäre nie als beklemmend und unpersönlich, sondern ganz im Gegenteil als vertrauenseinflößend und beruhigend. Die Umkleide war ähnlich nüchtern und sachlich und dabei keineswegs lieblos eingerichtet. Meine Ärztin hatte mir einmal erklärt, dass ihre Patientinnen diesen Stil zu schätzen wussten. Er vermittelte ihnen, dass es hier ganz kompetent
und ohne Umwege um ihre Gesundheit ging. Klar und kompromisslos. So würde ich auch jederzeit die Ärztin beschreiben. Ich mochte sie sehr.
»Sie sehen nicht sehr glücklich aus. Wollen Sie keine Kinder?«, fragte sie mich.
»Doch!«, sagte ich schnell. »Natürlich will ich Kinder. Mein Mann auch. Ich habe nur nicht damit gerechnet.«
Ich versuchte ein überzeugendes Lächeln, auch wenn ich mir nicht sicher war, wen ich gerade mehr überzeugen wollte: sie oder mich.
Benjamin und ich hatten über Kinder gesprochen, aber noch nicht konkret. Es stand fest, dass wir welche wollten, irgendwann einmal, und ich hatte immer gedacht, dass wir noch viele Jahre Zeit hatten. Aber jetzt war ich schwanger. Jetzt war alles anders.
»Sie sind in der achten Woche«, sagte sie. Es klang nicht wertend. Es war lediglich eine Information.
Als ich nichts erwiderte, fuhr sie fort: »Vielleicht könnten Sie sich heute freinehmen und diese Nachricht sacken lassen. Reden Sie mit Ihrem Mann, horchen Sie beide in sich hinein, schlafen Sie eine Nacht darüber. Und ich bin sicher, morgen sieht alles ganz anders aus. Es ist völlig normal, dass Sie jetzt erst einmal sehr überrascht sind und nicht genau wissen, was Sie davon halten sollen.« Sie lächelte mich an, und ich lächelte zurück. Dann zog ich mich an, ließ mir Termine für Folgeuntersuchungen aufschreiben, steckte folgsam Informationsbroschüren ein und fuhr ins Büro.
Ich sagte Benjamin nichts davon. Ich behielt die Nachricht tagelang
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