Liz Balfour
der ganzen Welt. Aber ich habe trotzdem Angst, und ich weiß einfach nicht, ob ich mich auf das Kind freue.«
Benjamin ließ meine Hand los. »Du freust dich nicht?«
»Ich sagte, ich weiß es nicht.«
»Wir haben doch so oft darüber geredet. Dass wir Kinder wollen.«
»Ja, irgendwann mal.«
»Du hast nicht damit gerechnet, weil du verhütest. Aber jetzt ist es doch passiert. Vielleicht brauchst du einfach zwei, drei Tage, um dich an den Gedanken zu gewöhnen. «
»Ich weiß es schon seit einer Woche.«
Da spürte ich, wie in ihm etwas zerbrach. Eine Woche hatte ich es für mich behalten und meine Ängste und Zweifel nicht mit ihm geteilt. Eine Woche hatte ich ihn von dem vielleicht Wichtigsten, das in unserer Beziehung bisher geschehen war, ausgeschlossen.
Als er nichts sagte, fuhr ich fort: »Ich habe dir nichts gesagt, weil ich mir erst darüber im Klaren sein wollte, was es für mich bedeutet. Aber ich bin genauso weit wie an dem Tag, an dem ich es erfahren habe.«
»Du hättest gleich mit mir darüber reden müssen«, sagte er, und er klang, als sei er meilenweit von mir entfernt. »Du hättest es mir sagen müssen ! Schließlich ist es auch mein Kind!«
»Es ist vor allen Dingen mein Körper«, entfuhr es mir, und ich bereute es sofort. Ich hatte ihn gerade auf die schlimmste, auf die falscheste Idee überhaupt gebracht.
»Willst du damit sagen, dass es vielleicht gar nicht mein Kind ist?«
»Unsinn!«
Er schwieg. Wir beide schwiegen. Dann sagte er: »Zweifelst du vielleicht daran, ob ich ein guter Vater bin?«
»Kein bisschen. Ich weiß nicht, ob ich eine gute Mutter wäre. «
»Natürlich wärst du das!«
Ich wartete darauf, dass er wieder meine Hand nahm. Stattdessen verschränkte er die Arme vor der Brust.
»Ist es nicht so, dass man in die Muster fällt, die man aus seiner eigenen Kindheit kennt?«, sagte ich.
»Deine Mutter hat dich doch nicht misshandelt, Ally! Irgendwas muss sie richtig gemacht haben. Sonst wärst du nicht die, die du heute bist.«
Ich hörte seine Worte, aber es war, als stünde eine Mauer zwischen Benjamin und mir. Ich streckte meine Hand nach ihm aus. Er sah nicht einmal danach, und ich zog sie wieder zurück.
»Aber was ist, wenn ich so werde wie sie? Wenn ich mein Kind nicht richtig lieben kann?«
»Deine Mutter liebt dich!«, sagte er zornig. »Sie kann es nur nicht zeigen!«
»Und wenn ich es auch nicht zeigen kann?«
»Du hast immer noch mich. Wir beide werden das Kind haben. Schon vergessen?«
Ich schwieg.
Fassungslos sah er mich an. »Du machst es ganz allein zu deiner Entscheidung, hab ich recht?«
»Nein, ich wollte nur …« Was wollte ich nur? Es ungeschehen machen? Nicht darüber nachdenken müssen, dass ein Kind unterwegs war?
»Du hast es tagelang für dich behalten. Du hast nur
daran gedacht, wie du mit einem Kind klarkommen würdest. Ich kam in deinen Gedankenspielen doch gar nicht vor! Sonst hättest du keine Angst. Sonst wüsstest du, dass ich dir den Rücken freihalten werde. Dass wir gemeinsam für unser Kind da sind! Dass wir eine funktionierende Familie sein werden!«
Als ich nichts darauf erwidern konnte, ging er aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
28 . Februar 1974
Mein Herz,
du hast ja recht vielleicht ist es das Beste, wenn wir woanders hingehen. Aber zu den Briten? Das geht nicht. Ich habe mir geschworen, niemals freiwillig einen Fuß in dieses Land zu setzen. Nach allem, was sie meiner Familie angetan haben, was sie uns Iren angetan haben…
Du weißt es noch nicht, aber Daniel ist gestorben. Er hat sich von seiner Lungenentzündung nicht mehr erholt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die ärztliche Versorgung in Long Kesh besonders gut ist. Schon gar nicht für einen Katholiken, von dem man behauptet, er sei von den Provos. Sicher dachten sie, er spiele nur Theater und sei gar nicht krank. Bestimmt waren sie froh, dass er starb. Einer weniger.
Ich bin zerrissen, meine Liebste, ich weiß nicht mehr, was richtig ist. Ich liebe Irland, aber man macht es uns so schwer. Wenn wir bleiben, werden alle die Straßenseite wechseln, sobald sie uns begegnen. Ich kann mich nicht scheiden lassen, wir können keine Kinder haben ich kann wohl kaum zulassen, dass du dein Leben »in Schande« verbringst. Die Leute würden dich nicht mehr in ihre Läden lassen. Wir müssten wegziehen, dort mit einer Lüge leben… Dann können wir auch gleich ganz fortgehen und alles hinter uns lassen, ja, da hast du recht.
Ich
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