Liz Balfour
Zeigefinger, und ich spürte in mir das tiefste Glück, das es auf der Welt gab. Benjamin umarmte uns beide und hatte Tränen in den Augen. Die Albträume waren vorbei.
Am nächsten Morgen fuhr ich mit dem Taxi zum Flughafen. Ich hatte nur leichtes Handgepäck für eine Übernachtung. Beschwingt von dem neuen Glücksgefühl, das mich durchströmte, stellte ich mich in die Warteschlange für den Security Check. Als ich endlich an der Reihe war, fingen die Schmerzen an. Ich versuchte, sie zu ignorieren. Hatte man nicht manchmal einfach so Bauchschmerzen? Sicher bedeutete es gar nichts. Eine Verdauungsstörung. Ich erinnerte mich, in den letzten Tagen manchmal ein Ziehen im Bauch gespürt zu haben, aber da es immer wieder schnell vorübergegangen war, hatte ich mir nichts dabei gedacht und das Ganze sofort wieder vergessen. So wie man vergisst, dass man sich gestoßen hat, und es
einem erst wieder einfällt, wenn sich am nächsten Tag ein blauer Fleck bildet.
Ich war gerade durch die Kontrolle gekommen und kniete am Boden, um meine Schuhe wieder anzuziehen, als die Schmerzen so schlimm wurden, dass ich nicht mehr aufstehen konnte. Ich stöhnte laut auf und hielt instinktiv die Hände vor den Bauch. Ich fühlte, dass ich am ganzen Körper anfing zu schwitzen, und zwischen meinen Beinen wurde es warm und feucht.
»Sie blutet!«, schrie jemand.
Ein Mann rief nach einem Arzt und Sanitätern. Ich spürte Hände an meinen Schultern und wurde auf den Boden gelegt. Jemand schob etwas Weiches unter meinen Kopf.
»Sind Sie schwanger?«, fragte eine Frauenstimme neben mir.
Ich nickte, und dann wurde alles um mich herum schwarz.
Als ich wieder zu mir kam, saß Benjamin mit kalkweißem Gesicht an meinem Bett und hielt meine Hand fest umklammert. Nur war es nicht mein Bett. Ich war in einem Krankenhauszimmer, umgeben von Schläuchen und Geräten. Auf einem Computerbildschirm las ich: Dr. Alannah Russell. Mein erster klarer Gedanke war: Haben sie nichts Besseres zu tun, als meinen Doktortitel ins Krankenblatt aufzunehmen?
»Wie geht es dir?«, fragte Benjamin leise.
»Was ist passiert?«, fragte ich. »Warum bin ich ohnmächtig geworden?«
»Du hast so viel Blut verloren und …«
»Was ist mit dem Kind? Geht’s ihm gut?«
Ich hatte nie zuvor in meinem Leben so viel Schmerz und Trauer in einem Gesicht gesehen. Benjamin musste es nicht aussprechen, ich verstand ihn auch so. Er verbarg sein Gesicht in der Bettdecke und weinte. Ich strich ihm übers Haar und starrte an die Wand. Eine Ewigkeit verging, bis eine Krankenschwester leise ins Zimmer kam. Sie blieb in der Tür stehen, weil sie sah, dass sie störte. Als sie sich zurückziehen wollte, sagte ich zu ihr: »Er braucht einen Namen.«
Die Krankenschwester kam nicht näher. Sie starrte mich nur an, wunderte sich wohl, warum ich nicht weinte. Benjamin hob den Kopf und sah an mir vorbei.
»Das müssen wir nicht jetzt entscheiden. Du brauchst Ruhe und solltest …«
Ich unterbrach ihn. »Er hieß Alan«, sagte ich zu der Krankenschwester. »Alan. Nach seiner Mutter.«
Benjamin biss sich fest auf die Lippen. Er wusste, warum ich mich für diesen Namen entschieden hatte: Es war ein Teil von mir, für immer.
Jetzt konnte ich weinen.
24. April 1974
Mein Herz,
ich bin bereit. Wir gehen zusammen fort. Tickets nach Amerika werde ich nicht bekommen. Also lass uns tun, was du vorgeschlagen hast: erst nach Wales. Du hast Bekannte in Schottland, zu denen wir können. So machen wir es.
Nur noch ein paar Tage… Anderthalb Wochen… Ich habe den 11. Mai, unseren Tag, ausgewählt. Bis dahin kann ich alles in die Wege leiten. Habe ich dir schon gesagt, wie sehr ich mich darauf freue? Wie sehr ich mich danach sehne, ganz bei dir zu sein? Mein altes Leben hinter mir zu lassen? Ich weiß erst durch dich, was Liebe ist, was Glück ist, und ich kann nicht glauben, dass ich bereit war, mein Leben ohne diese tiefe Liebe weiterzuleben. Aber ich kannte dieses Gefühl noch nicht, als ich heiratete. »Unter falschen Vorzeichen«, hast du gesagt, als ich dir davon erzählte, wie meine Frau mich in die Ehe lockte. Zu behaupten, sie sei schwanger, um dann erst zwei Jahre später ein Kind zu gebären… Ja, ich war jung und dumm, und ich kannte dich noch nicht, mein Herz.
Ich wusste noch nichts von dem Feuer, das in mir brennt, wenn ich den Menschen berühre, den ich wirklich begehre. Ich wusste nichts von der Wärme, die sich im Herzen ausbreitet, wenn ich an den Menschen denke, den ich
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