Liz Balfour
ist gut für deine Tochter«, sagte ich. Und
sie antwortete: »Es ist meine Bestimmung, hier zu kämpfen.
Ob es mir passt oder nicht.«
Und meine Bestimmung ist es, mich um meine Familie zu kümmern. Ob es mir passt oder nicht.
Ich versuche, meiner Frau ein guter Ehemann zu sein. Jeden Morgen sehe ich in den Spiegel und erkenne den Mann nicht wieder, der mich ansieht, aber trotzdem weiß ich, was ich zu tun habe.
Ich werde dich niemals vergessen. Wenn es doch nur einen Weg gäbe… zurück zu dir… Wenn ich doch nur wüsste, wie es dir geht …
Schreib mir!
M.
9.
»Alles ist möglich«, sagte die Ärztin zu uns. »Das Gehirn schafft manchmal unglaubliche Dinge. Beispielsweise hatten wir einen Fall …«
Ich nickte zerstreut und hörte nicht mehr richtig zu. Ich sah durch die Glasscheibe auf meine Mutter, die zwischen all den Schläuchen und Geräten wie ein Fremdkörper wirkte. Seltsam, nicht die Technik schien falsch in diesem Raum, nur meine Mutter unter der glatt gestrichenen weißen Bettdecke.
Sie war nie krank gewesen, keinen einzigen Tag. Hätte mein Vater dort gelegen, es hätte nicht falsch ausgesehen. Aber Deirdre hatte nichts in einem Krankenhaus zu suchen. Ich versuchte mich zu erinnern, ob sie jemals über Kopfschmerzen geklagt hatte. Oder über Magendrücken. Sie musste doch wenigstens mal einen Schnupfen gehabt haben? Es wollte mir nichts einfallen. Aber ich war seit meinem dreizehnten Lebensjahr immer nur in den Ferien bei meinen Eltern gewesen. Vielleicht hatte sie mir einfach nur nichts davon erzählt, wenn sie Beschwerden gehabt hatte.
Ich erinnerte mich, dass sie einmal zu mir gesagt hatte: »Du wirst nie krank! Von wem du das wohl hast …« Daraufhin hatte ich geantwortet: »Doch wohl von dir?«
Hatte sie daraufhin denn nicht gelächelt? Aber gesagt hatte sie nichts. Hatte sie damit etwa gemeint, dass ich meine stabile Gesundheit eben nicht von ihr geerbt haben konnte?
Bei jeder Vorsorgeuntersuchung waren die Ärzte begeistert von meinen vorbildlichen Werten. Ich hatte mir nie Sorgen um meinen Körper gemacht – bis zu Alans Tod. Ich hatte mir auch nie Gedanken um Deirdres Gesundheit gemacht. Ich hatte mich darauf verlassen, dass wir beide im hohen Alter an Langeweile sterben würden. Und nun bekam sie einfach so einen Herzinfarkt? Aus heiterem Himmel?
Benjamin sagte etwas zu mir und riss mich damit aus meinen Gedanken. Ich konzentrierte mich auf ihn und die Ärztin. »Entschuldige. Was hast du gesagt?«
»Ob es eine Vorgeschichte gibt«, sagte Benjamin.
Ich schüttelte den Kopf. »Meine Mutter war immer kerngesund«, sagte ich.
»Das bezweifle ich«, sagte die Ärztin. Auf ihrem Kittel stand der Name Henderson. »Sie hat einen angeborenen Herzklappenfehler. Damit war sie in ärztlicher Behandlung. Sie hatte alle notwendigen Medikamente in ihrer Handtasche.«
»Davon weiß ich nichts«, sagte ich verblüfft.
»Sie hat nie darüber gesprochen?«
»Nein, ich verstehe das nicht …«
»Offenbar haben ihre Beschwerden in letzter Zeit zugenommen. Ihre Dosis ist erhöht worden, wir haben ein neues Rezept gefunden. Aber warten wir, bis wir den behandelnden Arzt erreichen. Der kann uns mehr sagen.« Dr. Henderson deutete meine Verwirrung richtig, denn
sie fügte hinzu: »Sicher wollte Ihre Mutter Sie nicht beunruhigen und hat Ihnen deshalb nie etwas erzählt.«
Ich nickte, war jedoch kaum getröstet. »Darf ich zu ihr?«
»Unbedingt.«
»Wird sie spüren, dass ich da bin?«
»Ich weiß es nicht mit Sicherheit. Aber ich glaube schon. Halten Sie ihre Hand. Reden Sie mit ihr. Manche Angehörigen von Komapatienten lesen auch etwas vor oder bringen Musik mit.«
Ich sah hilflos zu Benjamin.
»Ich kann etwas besorgen«, sagte er und drückte beruhigend meine Hand. »Welche Musik mag sie? Oder welche Bücher?«
Ich wusste keine Antwort. Die Ärztin nutzte meine Sprachlosigkeit, um sich zu verabschieden und zum nächsten Patienten zu eilen.
»Verdammt, ich weiß es nicht. Ich kenne meine Mutter offenbar gar nicht«, sagte ich, als sie fort war, und kämpfte mit den Tränen. »Ist das nicht armselig? Weder weiß ich, welche Musik sie mag, noch kann ich mich erinnern, was sie gerne gelesen hat. Die Ärztin muss denken, dass ich eine ganz schlechte Tochter bin. Und damit hat sie recht.«
Benjamin umarmte mich. »Unsinn«, sagte er sanft in mein Ohr. »Es ist, wie es ist. Ich könnte ins Cottage fahren und mich ein bisschen umsehen, wozu haben wir einen Leihwagen? Ich könnte CDs
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