Liz Balfour
Augen. »Darf ich mich zu dir setzen?«
Ich nickte, auch wenn mir nicht wohl dabei war. Wie stand ich überhaupt zu Eoin? Einst faszinierte er mich, nun schien er ein Tierquäler zu sein. Und doch hatte sich meine Mutter besser mit ihm verstanden als mit mir. Wer war er eigentlich?
»Ich darf nicht zu ihr, weil ich kein Angehöriger bin.
Aber eine Schwester sagte mir, du seiest aus London gekommen. Sie schickte mich hierher, als wir dich auf der Station nicht finden konnten.«
»Oh, das ist … «, begann ich, wusste aber nicht, wie ich den Satz zu Ende bringen sollte. Ich wollte nicht offen unhöflich sein. Nicht in dieser Situation.
»Wie geht es ihr?«, fragte Eoin.
»Sie liegt immer noch im Koma.« Ich atmete tief durch, um mich besser konzentrieren zu können. »Ich weiß gar nicht, wie lange schon. Ich muss noch mal in Ruhe mit der Ärztin reden, sie hatte nicht sehr viel Zeit, als wir ankamen.«
»Deirdre war nicht sehr viel länger als zehn Minuten ohne Versorgung. Trotzdem fiel sie ins Koma. Es geschah heute Morgen gegen halb neun.«
Ich sah ihn verwundert an, und all meine gemischten Gefühle ihm gegenüber waren vergessen. Es ging nur noch um Deirdre. »Du hast sie gefunden?«
Er nickte. »Ich ging um kurz nach acht bei ihr vorbei, um zu fragen, ob ich etwas für sie einkaufen sollte. Wir kamen ins Plaudern. Wir unterhielten uns über das Wetter, über die gestiegenen Lebensmittelpreise, alles Mögliche.«
»Wie war sie da? Hatte sie Schmerzen? War ihr schlecht?«
Eoin schloss kurz die Augen. »Sie hat nichts gesagt. Sie lächelte und war freundlich, wie immer. Sie wirkte nur etwas matt und abgespannt. In letzter Zeit war sie häufiger müde, bat mich aber, mir keine Sorgen zu machen, sie hätte sich von ihrem Hausarzt gründlich untersuchen lassen.«
»Du wusstest von ihrem Herzfehler?«
»Ja.«
Wieder dieser Stich, dieses Gefühl der Eifersucht, das ich hatte, als ich die beiden in Deirdres Cottage beim Teetrinken beobachtet hatte. Warum stand Eoin meiner Mutter so viel näher, als ich es je getan hatte? Warum wusste er mehr über sie als ich? Es konnte doch nicht einfach nur daran liegen, dass er zufällig in der Nähe wohnte. Oder plauderte sie mit all ihren Nachbarn über ihre Gesundheit, nur nicht mit ihrer Tochter?
»Ist sie … hatte sie den Infarkt, als du bei ihr warst?«, fragte ich, um Fassung bemüht. Ausgerechnet dieser Mann hatte meiner Mutter wahrscheinlich das Leben gerettet. Wenn er sie nicht gefunden hätte, wäre sie mit ziemlicher Sicherheit tot. Würde so jemand fähig sein, Tiere brutal zu quälen? Aber jetzt war kaum der Zeitpunkt, ihn darauf anzusprechen. Im Gegenteil. Ich musste ihm dankbar sein.
»Nein«, antwortete er mir. »Wir verabschiedeten uns, ich ging zu meinem Wagen, und dann fiel mir ein, dass ich ganz vergessen hatte, sie zu fragen, ob ich ihr etwas aus dem Dorf mitbringen soll. Also ging ich zurück. Sie reagierte nicht, als ich nach ihr rief. Ich suchte sie und fand sie zusammengesunken in einem Sessel. Dann rief ich den Krankenwagen und ihren Hausarzt. Er war als Erster zur Stelle und kümmerte sich um sie.«
Erst jetzt betrachtete ich Eoin ganz bewusst: Er trug eine graue kurze Lederjacke, darunter ein schwarzes Shirt. Da er die Ärmel etwas zurückgeschoben hatte, konnte ich den Ansatz seiner Narbe sehen. Die dunkle Jeans sah ganz nach einem Lieblingsstück aus: ausgebeult, abgewetzt und verwaschen. Sie stand ihm hervorragend.
Dazu trug er schwarze Bikerboots. Er hätte auch irgendein Typ aus einem Londoner Pub sein können. Sie kleiden sich hier wie überall, sie hören dieselbe Musik und sehen dieselben Filme, warum wundere ich mich?, ermahnte ich mich. Und sofort ärgerte ich mich darüber, diese albernen Gedanken zu haben, während meine Mutter auf der Intensivstation um ihr Leben kämpfte.
Nein, ich war wirklich keine gute Tochter.
»Danke«, sagte ich zu Eoin.
»Dafür, dass ich den Notarzt gerufen habe?«, fragte er verwundert.
»Ja. Und dass du nach ihr siehst. Jetzt. Jeden Tag. All die Jahre. «
Er lächelte. »Ist dir eigentlich eingefallen, woher wir uns kennen?«
Ich spürte, dass ich rot wurde. »Ja«, gab ich zu. »Tut mir leid, dass ich es vergessen hatte.« Was für eine Lüge! Warum sagte ich nicht, wie es war: »Tut mir leid, dass ich dich nicht wiedererkannt habe, aber du hast dich so verändert«? Vielleicht, weil ich dann zugegeben hätte, dass ich ihn eben nie vergessen hatte.
»Kein Problem«, sagte er. »Du hast
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