Lloyd, Sienna
und gestresst, ich will so vieles, was ich erlebt habe, erzählen. Als ich meine Notizen durchlese, habe ich das Gefühl, dass ich genug Material für einen zweiten und dritten Band habe.
Während ich wie ferngesteuert auf die Tastatur hämmere, öffnet sich Google. Ich habe seit dem Unfall kein einziges Mal daran gedacht, in meine Mailbox zu sehen. Ich habe keine Wohnung und keinen Job mehr, ich erwarte also keine großartigen Neuigkeiten.
Ich öffne meine Mailbox. 190 ungelesene Nachrichten. Hauptsächlich sind es Spams, kurz vor Weihnachten kann man sich meist kaum vor ihnen retten. Ich lösche jede einzelne von ihnen. Es bleiben 15 Mails übrig: Die erste ist von meinem Vermieter, er kündigt mir an, dass er mein Studio weitervermietet hat und ich meine restlichen Siebensachen bei Joey im Club abholen kann. Eine Mail kommt von Joey: Er meint, meine Sachen kann ich mir … Tja. Die übrigen 13 Mails kommen von meiner Studienkollegin Mélanie. In den ersten geht es um meine Abwesenheit und den Stoff, den ich nachholen muss, die letzte verrät Panik.
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Von: Mélanie
An: Héloïse
Héloïse,
ich bin vollkommen aus dem Häuschen. Ich war bei der Polizei, doch dort sagt man mir, dass ein erwachsener Mensch das Recht hat, ein neues Leben zu beginnen. Du hast gekündigt, deine Wohnung ausräumen lassen … sie meinen, alles deutet darauf hin, dass du wohl „verschwinden wolltest“. Wir kennen einander nicht allzu gut, aber irgendetwas sagt mir, dass du nicht weit weg bist. Wir waren gerade dabei, Freundinnen zu werden, ich kann mir nicht vorstellen, dass du einfach gegangen bist, ohne ein Wort zu sagen und ohne auf meine Mails zu antworten.
Ein Professor hat mir gesagt, dass du gleich in der darauffolgenden Woche darum gebeten hast, dir die Studienunterlagen zu senden, doch er ist nicht berechtigt, mir die Adresse zu nennen. Was ist los? Auch auf dem Handy bist du nicht erreichbar.
Alles scheint zusammenzupassen, du wirst mich vielleicht für eine Verrückte halten, aber zuletzt hat man dich in einer Vollmondnacht im Melvin Club gesehen … Es scheint, als hätten sie dich in ihre Gewalt gebracht … Jetzt drehe ich total durch, ich sehe zu viele freakige Reportagen über diese Kreaturen. Ich schicke dir ein Küsschen, wo auch immer du gerade bist.
Mel
PS: Ich hatte eine Affäre mit Professor Never. Ich musste es einfach jemandem sagen.
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Diese Nachricht geht mir wirklich zu Herzen. Ich hatte nicht erwartet, jemandem zu fehlen, aber der Gedanke, dass ich von der Bildfläche verschwinden konnte, ohne dass es jemand bemerkte, tat mir doch weh. Mélanies Mails sind wie ein Liebesbeweis.
„Sie“
,
„diese Kreaturen“
… Seltsam, noch vor Kurzem habe auch ich so gesprochen. Ich habe niemals die Aktionen der
M
zur nötigen Ausrottung der Vampire gutgeheißen, aber zu wissen, dass es sie gibt, hat mich doch beunruhigt.
Ich schreibe meine Antwort mindestens fünf Mal um, bevor ich sie schließlich an Mélanie sende. Ich kenne Mel seit einem Jahr, wir saßen immer nebeneinander. Seit September haben wir gelegentlich gemeinsam Kaffee getrunken. Sie ist sehr beliebt und hat viele Freunde, doch sie hat beschlossen, dass sie auch mit mir befreundet sein möchte. Sie sagt, ich bin wie eine Wildkatze, die schwer zu zähmen ist.
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Von: Héloïse
An: Mélanie
Mélanie,
es tut mir wahnsinnig leid und es schockiert mich, dass ich dir so viel Angst gemacht habe. Ich bin nicht weit weg. Es ist kompliziert, aber sei unbesorgt, es geht mir sehr, sehr gut – es geht mir sogar besser als je zuvor! Ich würde dich gerne mal wieder treffen und Kaffee mit dir trinken. Ich werde mir ein neues Telefon kaufen und schicke dir so bald wie möglich meine Nummer.
Es tut gut zu wissen, dass jemand an mich denkt.
Küsschen,
Héloïse
PS: Ich habe einen verheirateten Mann getroffen, und nicht nur das. Es ist falsch, aber soooo gut;)
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Ich sende die Mail ab und eine Glocke erklingt in meinem Computer. Eine Nachricht über das Intranet. Gabriel! Mein Herz schlägt schneller.
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Von: Gabriel
An: Hello
Die Seiten habe ich herausgerissen, weil sie dich nichts angehen. Vielleicht wirst du eines Tages aufhören, Fragen zu stellen, und beginnen, im Jetzt zu leben.
Ich werde beim Abendessen da sein. Natürlich gemeinsam mit Rebecca.
Wir sehen uns.
Gabriel
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Eine kalte Dusche. Ich muss mich zurückhalten, um ihm nicht eine Schimpftirade zu schreiben. Man sollte niemals wütend antworten. Zwischen Gabriels Mail
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