Lloyd, Sienna
und seinem Tagebuch liegen Welten. Zwischen dem Mann in der Öffentlichkeit und dem Mann im Privaten liegen Universen.
Ich bin verärgert und beschließe, meinen Computer herunterzufahren und an die frische Luft zu gehen.
Im Foyer treffe ich Charles. Er trägt ausgewaschene Röhrenjeans und einen farblich zu seinen Schuhen passenden camelfarbenen Pullover.
„Sie ist wiederauferstanden!“
„Jetzt komm schon, es waren nur zwei Tage, ich bin ja nicht gestorben.“
„Vielleicht, aber du bist so fahl, als wärst du es!“
„Und so etwas schimpft sich „Gentleman“?“
„„Don Juan“, nicht Gentleman. Du brauchst etwas frische Luft, das ist alles. Ich kann Fräulein Neunmalklug nicht ständig Honig ums Maul schmieren.“
„Na so etwas, gerade wollte ich ein wenig spazieren gehen, Herr Womanizer.“
„Komm mit mir mit. Ich gehe zu einer Auktion.“
„Das klingt toll.“
„Die Privatsammlung der Dynastie der Romanows. Anastasia verkauft alles, weißt du, das ist …“
„NEEEEEIN?“
„Haha, ihr mysteriöses Verschwinden, die Gerüchte um ihre Existenz … Sie haben ihren Vater, ihre Mutter und ihre Geschwister geschnappt … natürlich bekamen sie alle einen Pfahl durchs Herz. Aber sie haben sie nicht erwischt. Wie auch immer, sie bringt die Bücher und Notizen ihres Vaters an die Öffentlichkeit und ICH MUSS SIE HABEN.“
Okay, das alles geht weit über meinen Verstand hinaus. Ich muss echt meine Geschichtskenntnisse auffrischen. Welche berühmten Persönlichkeiten sind noch alle am Leben? Ich erinnere mich daran, über Filme gelacht zu haben, in denen es darum ging, dass Elvis und Marilyn noch irgendwo unter einer anderen Identität leben. Wie viel Wahrheit steckt dahinter?
Mit hoher Geschwindigkeit fahren Charles und ich durch das rote Viertel. Wir unterhalten uns angeregt über die Geschichte. Er fährt einen schwarzen Mercedes SLR, der aussieht wie das Batmobil: ein Zweisitzer, rotes Leder, mit Schmetterlingstüren. Ein spritziges, erotisches, arrogantes Auto. Charles hat Freude daran, den Motor aufheulen zu lassen, bei jeder Ampel vibriert mein Sitz.
Ich bin nicht das richtige Publikum für diese Art der Demonstration von Motorstärke und Freud hätte wohl einiges zur Wahl dieses Motors zu sagen gewusst, doch ich muss gestehen, dass das Gefühl, über den Asphalt zu gleiten, doch etwas Erotisches hat. Die Umgebung jagt an uns vorbei, doch dies hält Charles nicht davon ab, mir über Russland, den Fall der Romanows und die Machtübernahme der Kommunisten zu erzählen.
Ich erfahre, dass Anastasia von einer Nachtwächterin, einer Vampirin, gerettet wurde, die sie aufzog, als wäre sie ihr Kind. Als sie erwachsen war, beschloss die junge Großfürstin, sich dem Blut hinzugeben und selbst zu einem Vampir zu werden, da sie überzeugt war, das Ansehen der Romanows vollkommen wiederherstellen zu können, wenn sie ewig lebte.
Faszinierend. Wir kommen am Auktionshaus an. Es ist ein beeindruckendes Gebäude. Wir müssen eine Minute warten, bis die Tore geöffnet werden. Dann parken wir in einem geschotterten Hof neben anderen Luxusautos.
Ein kleines Schild zeigt den Weg an:
„Verkauf der Sammlung von Fräulein A. im 1. Stock, Tür C“
. Charles hält seine Einladung bereit, eine große, dicke Karte mit goldenen Lettern. Plötzlich habe ich das Gefühl, falsch angezogen zu sein, und ich betrachte mein Spiegelbild. Ich trage Jeans, weiße Converse und Solveigs Dior-Lederjacke. Ich bitte Charles, kurz zu warten, und betone meine Lippen vor dem Spiegel im Aufzug mit Lipgloss. Dann versuche ich, mir die Haare hochzustecken, als die Tür aufgeht und ein etwa fünfzigjähriges Paar vor uns steht. Die Frau trägt eine weiße Pelzmütze und mustert mich.
„Hello, dein Ausweis!“
Glücklicherweise habe ich daran gedacht, ihn mitzunehmen. Verächtlich tritt die Dame in den Aufzug und stößt mich dabei mit dem Ellenbogen. Die Feindseligkeit in ihrem Blick lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.
Vor dem Saal möchte ich schon kehrtmachen. Das Parkett knarrt unter dem roten Teppich, es liegt eine schwere Stille im Raum und ich fühle mich unwohl, als ich merke, wie mich die Leute, an denen ich vorbeigehe, ansehen.
Charles bemerkt, wie verschreckt ich bin, nimmt meine Hand und flüstert mir zu:
„Na, Fräulein Neunmalklug, jetzt bist du nicht mehr so vorlaut.“
„Hör auf damit, diese Leute wollen nur eines: sich auf mich stürzen.“
Ein Mann kommt direkt auf mich zu und reflexartig verstecke
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