Lloyd, Sienna
mich in die Wange und wir gehen schweigend hinaus. Als ich an den Kuss zurückdenke, muss ich mir eingestehen, dass ich ihn für den Bruchteil einer Sekunde genossen habe. Doch mein Mund gehört Gabriel.
3. Der große Ball
Tag 49, 20:05
Ich komme zu spät zum Abendessen, Magda hat nach mir gerufen; es scheint, als wäre das Essen ruiniert, wenn nicht alle sofort erscheinen. Ich habe großen Hunger, doch keine Lust, auf alle zu treffen. Gabriel hat mich zurückgewiesen, Charles hat mich geküsst, Sol spricht nicht mehr mit mir und Rebecca … Rebecca ist Gabriels Frau.
Dabei hatte der Tag so gut begonnen: Gabriels Tagebuch, die Auktion, der Verleger, die Kostüme, Mélanies Mail. Genau, Mélanie: Ich muss sie anrufen und ihr alles erzählen. Es würde mir guttun, mich jemandem anzuvertrauen … jemandem, der so ist wie ich.
Magda und Charles sind wunderbare und treue Freunde, doch sie erleben nicht denselben Kulturschock wie ich. Während der Krise des Blutes gab es jeden Abend Reportagen über die Vampire. Kinderfresser, Mörder, Vergewaltiger und Diebe. Wenn es darum ging, sie zu charakterisieren, lagen wir näher bei Jack the Ripper als bei Nosferatu. Eine kleine Stimme hatte mir immer gesagt, dass sie nicht so schlecht sein konnten, doch ich hatte trotzdem furchtbare Angst vor ihnen.
Mélanie muss die gleichen Ängste haben wie ich damals und kann meine Geschichte deshalb besser nachvollziehen. Ich muss mir die Zeit nehmen, sie zu treffen, ohne dass jemand hier Verdacht schöpft. Mein Leben ist schon kompliziert genug, und da ich mich sowohl im roten Viertel als auch in der Zone der Sterblichen aufhalten darf … werde ich das auch ausnutzen.
Ich freue mich darauf, Mélanie bald wiederzusehen, und beschließe, doch essen zu gehen. 20:15 … Sie wird mich wohl ausschimpfen. Ich ziehe ein schwarzes Top und khakifarbene Leinenshorts an; es ist zu heiß hier drinnen, um mehr zu tragen.
Der rote Salon und das Esszimmer sind leer. Ich höre Lachen aus der Küche und finde dort alle um den Küchenblock in der Mitte des Raumes herum versammelt, wie sie Brathuhn und selbst gemachte Pommes essen. Man könnte meinen, sich in einer Sitcom zu befinden, in der jedes Familienmitglied von Frieden und Liebe erfüllt ist. Zu meiner großen Überraschung holt Solveig einen Barhocker neben sich.
„Komm, setz dich zu mir, Lara Croft!“
„Ich bin unbewaffnet, ihr könnt weiteressen. Hast du schon eine Verkleidung für den Ball?“
Ich bin sehr erstaunt über Sols Freundlichkeit und nehme ihre Einladung, mit ihr zu sprechen, gerne an. Ich liebe diese großzügige und freundliche Barbie, ihre Kälte mir gegenüber hat mir sehr zu schaffen gemacht.
„Ich gehe als …“
Alle Blicke wenden sich Sol zu, sogar Gabriel, den ich gekonnt ignoriert habe, seitdem ich in die Küche gekommen bin, scheint ehrlich interessiert am Kostüm der hübschen Blondine. Sie ist die extravagante Fashionista par excellence, sie wird phänomenal aussehen, egal, was sie trägt, das wird von ihr erwartet.
„Ich gehe als verliebte Frau.“
Ich mache große Augen, sie versteckt sich hinter ihrer Serviette und wird rot. Rebecca runzelt die Stirn.
„Ähm, meine Süße, das hat nichts mit dem Thema zu tun. „Weder sterblich noch Vamp…““
„Becca, sie wird sich nicht als „verliebte Frau“ verkleiden, sie will uns damit einfach sagen, dass sie es ist“, unterbricht Gabriel sie.
Nach einigen Sekunden versteht Rebecca endlich.
„Was? Du bist verliebt? In wen? Warum hast du es mir noch nicht gesagt?“
„Weil du im Moment Wichtigeres um die Ohren hast als mein Liebesleben.“
„Das stimmt. Aber du kommst doch trotzdem auf den Ball, nicht wahr?“
Ich spüre, dass Sol von Rebeccas Antwort enttäuscht ist, was sie jedoch nicht daran hindert, uns zu erzählen, dass sie bei der Suche nach einem Kostüm einen Mann kennengelernt hat. Er ist der neue Geschäftsführer des Haute-Couture-Modehauses Mastha und hat diese Stelle von seinem Erschaffer übernommen. Sie ist in ihn hineingelaufen und hat sich an seiner … rosa Krawatte festgehalten.
Charles seufzt erleichtert.
„Ich hatte schon befürchtet, du meinst mich, Sol!“
„Haha! Nein, mein Süßer, ich habe meinen Traummann gefunden. Eine Mischung aus James Bond, Brad Pitt und Ryan Gosling.“
„Ein Halbblut, wie du, das ist ja toll! Wie wird er sich verkleiden?“
„Der Ball, der Ball, der Ball … Rebecca, ich verbiete dir, den Ball heute Abend noch einmal zu
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