Lob der Faulheit
»Verschleiß« zeigt oder »der Motor stottert«. So werden sie Opfer ihrer eigenen Metaphern.
Langsam setzt sich jedoch die Erkenntnis durch, dass wir keine Menschmaschinen sind. »Psychosomatik« lautet auf dem Gebiet der Medizin das Stichwort für diese neue Sichtweise. Die meisten ahnen noch nicht, welche Folgen dies für die Medizin hat. Die Chirurgie ist, so raffiniert sie inzwischen daherkommen mag, trotzdem im Grunde reine Klempnerei. Die Pharmazie versucht, die Chemie des Körpers positiv zu beeinflussen,
nimmt dabei aber dessen Vergiftung in Kauf. Ich habe bereits darauf hingewiesen, welch heilsame Wirkung Meditation und Entspannung haben. Die Psychosomatik kennt noch viele weitere Verfahren, die das Konzept der Menschmaschine vollkommen veraltet erscheinen lassen.
Welche Informationen der Mensch erhält und wie er sie verarbeitet, ist für seine Gesundheit und sein Selbstmanagement von größter Bedeutung. Disziplin ist ein – vorsichtig gesagt – suboptimales Prinzip, um mit sich selbst angemessen umzugehen.
Seelenlose Wissenschaft
Die Menschmaschine entspricht dem Weltbild, das die Wissenschaft in den vergangenen drei Jahrhunderten entworfen hatte. Segensreich an der einseitig materialistisch orientierten Forschung und Lehre war, dass sie abergläubische Vorstellungen durch wirklichkeitsgemäße ersetzt hat. Sie sezierte, analysierte und experimentierte. Mit dem Ergebnis, dass wir heute nicht mehr den Donnergott beschwören, sondern einfach Blitzableiter installieren, um nur ein Beispiel zu nennen.
Andererseits wurde dadurch alles, was nicht mit technischen Geräten messbar ist, für nicht-existent erklärt. Für die Psychologie bedeutete dies, dass der Geist mit seinen Gedanken, Erinnerungen und Fantasien zunächst eliminiert wurde, weil nur die äußeren Reize und das Verhalten darauf beobachtbar waren. Psychologen beschrieben mit großem Eifer Reiz-Reaktions-Muster. Solange, bis einige unter ihnen erkannten, dass nicht einmal höher entwickelte Tiere auf denselben Reiz gleich reagieren. Es dauerte alles in allem einige Jahrzehnte, bis sich die Erkenntnis durchsetzte, dass nicht die Umstände die Reaktionen determinieren, sondern innere Faktoren. Man könnte sie zusammenfassend als Geist bezeichnen, wenn dieser Begriff nicht bis heute für viele immer noch ein Unwort wäre.
Die Behavioristen liebten es, mit Tieren zu experimentieren. Es schien ihnen zu gefallen, sie auf vielfältige Art und Weise zu malträtieren. Da sie den Tieren Geist, Gefühle und Seele absprachen, hatten sie praktisch keine moralischen Bedenken, ihren »wissenschaftlichen« Interessen auf Kosten ihrer »Versuchsobjekte«
zu frönen. So schön (widerlich) kann objektive Wissenschaft sein!
Die Verhaltensforscher dressierten die ihnen ausgelieferten Tiere, wie es ihnen passte. Sie standen damit in der Tradition autoritärer Pädagogen und Militaristen; denn auch die antidemokratischen Lehrer und Offiziere machten nichts lieber, als ihre Schüler bzw. Soldaten so abzurichten, wie sie es für richtig hielten. In Preußen rekrutierte sich das Heer der Rohrstock-Pädagogen nicht selten aus ehemaligen Soldaten. Was vorher der Exerzierplatz war, wurde nun zum Schulhof.
Ihre Schüler hatten nicht viel zu lachen. Für sie begann mit der Schule der Ernst des Lebens, soweit sie nicht schon in ihren Elternhäusern regelmäßig kräftig durchgeprügelt wurden. Ihnen wurde Zucht und Ordnung, also Disziplin, beigebracht. Man könnte genauso gut sagen, sie wurden für die Zwecke der Generäle und Fabrikherren dressiert.
Auch wenn inzwischen eine gewisse Abkehr von dieser vordemokratischen Pädagogik und objektiven Wissenschaft festzustellen ist, so ist der Kampf noch nicht ausgestanden. Gerade in jüngster Zeit gibt es eine kleine Renaissance der »guten, alten Disziplin«. Ich halte das zwar für Nachhutgefechte, aber man muss die Befürworter solch veralteter Modelle ernst nehmen. Noch sind die Demokratie (in ganz Deutschland erst seit 1990!), die Informationsgesellschaft und die humanistische Pädagogik relativ junge Pflänzchen.
Seit es die neuen, »bildgebenden« Verfahren – wie die potenziell gesundheitsschädigende Röntgen-Technologie heute gerne genannt wird – gibt, erleben wir so etwas wie die Wiedergeburt
des Geistes. Die Hirnforscher (immer noch sehr objektiv daherkommend) wagen es, dem Gehirn Fähigkeiten zuzuschreiben, die sie ihm bisher abgesprochen haben. Heute weiß auch der
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