Lob der Faulheit
materialistisch denkende Mensch, dass das Gehirn fähig ist, sich ein Leben lang zu entwickeln und bei Bedarf neue Strukturen zu bilden, die ein anderes Denken, Fühlen und Verhalten ermöglichen. Diese Erkenntnis, die jetzt bis in konservative Kreise vorgedrungen ist, bedeutet, dass jeder bis ins hohe Alter lernen, alte Gewohnheiten aufgeben und neue erwerben kann.
Für die Materialisten bleibt jedoch eine Frage weiter ungelöst: Wie bringt das Hirn Geist hervor? Wie schafft ein Zellklumpen es, Intelligenz zu entwickeln?
Ich habe Zweifel, dass die Materialisten es je schaffen werden zu verstehen, was Geist ist. Gedanken, Gefühle, Seele und Intuition werden für sie bis in alle Ewigkeit ein Rätsel bleiben, Erscheinungen, die einer Welt angehören, die ihnen verschlossen ist.
In anderen Kulturen hat man sich von der geistigen Welt nie so weit entfernt. Es ist ein gewisser Fortschritt, dass westliche Wissenschaftler sich ihnen jetzt vorsichtig annähern. Trotzdem muss man daran erinnern, dass die moderne, westliche Wissenschaft mit ihrem seelenlosen Weltbild über Jahrhunderte Dressur und Disziplin begünstigt und einen intelligenten Umgang mit sich selbst und anderen erschwert hat.
Sind so viele Studien
Aber halt! Hat die Wissenschaft nicht gerade bewiesen, dass Disziplin dem Menschen hilft, beruflich und privat erfolgreich zu sein? In der Tat versuchen einige Psychologie-Professoren im Moment, uns glauben zu machen, dass Disziplin und Willensstärke für ein gelingendes Leben unentbehrlich seien. Sie reihen dabei Studie an Studie in der Hoffnung, dass daraus ein schlüssiges Konzept wird. Wer sich dafür interessiert, wird ihre Bücher leicht finden.
Da Wissenschaftsgläubigkeit in unserer Gesellschaft sehr verbreitet ist, möchte ich zunächst ein paar grundsätzliche Dinge über sogenannte »wissenschaftliche« Studien sagen. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass die Zeitungen darüber berichten, was Wissenschaftler X gerade erst gestern wieder herausgefunden zu haben meint. Die Neuigkeiten werden verkündet, als handele es sich um biblische Offenbarungen.
Susan M. Love und Alice D. Domar haben in ihrem Buch »Live a litte. Breaking the rules won’t break your health« am Beispiel von Gesundheitsratschlägen gezeigt, dass die meisten angeblich wissenschaftlich fundierten Tipps in Wirklichkeit auf tönernen Füßen stehen. Beide haben eine wissenschaftliche Ausbildung, haben sich aber eine kritische Distanz zu den Behauptungen ihrer KollegInnen bewahrt. Ihrer Meinung nach ist es sowohl unnötig als auch unmöglich, die Vielzahl der gängigen Gesundheitsempfehlungen zu befolgen. Vielmehr könne jeder mit einem Minimum an Aufwand viel für sein Wohlbefinden tun. Damit sind Love und Domar für mich hervorragende Vertreterinnen der Idee positiver Faulheit.
Bestimmt haben Sie gehört, dass man mindestens zwei Liter Wasser am Tag trinken sollte. Überall laufen Menschen mit riesigen Mineralwasserflaschen durch die Gegend. Sie trinken, wo immer sie gehen, stehen und sitzen, weil sie befürchten, sonst sofort zu dehydrieren. Der Haken an der Sache ist nur, dass es nach Love und Domar keinen Beweis für die These gibt, dass jeder täglich acht Gläser Wasser in sich hineinschütten muss, um gesund zu bleiben. Der Ursprung dieses Mythos ist unbekannt. Klar ist nur, dass die Getränkeindustrie sehr gut daran verdient.
Damit eine Studie den Namen »wissenschaftlich« verdient, müssen mehrere Kriterien erfüllt sein:
– Die TeilnehmerInnen sind nach dem Zufallsprinzip in mindestens zwei Gruppen aufzuteilen: eine Versuchs- und eine Vergleichsgruppe. Niemand darf wissen, wer zu welcher gehört. Sonst sind bewusste oder unbewusste Beeinflussungen der Ergebnisse möglich.
Dermaßen strenge Studien sind schwierig durchzuführen. Sie sind zeitraubend und teuer. Manche Aussagen machen überhaupt nur Sinn, wenn die TeilnehmerInnen über Jahre beobachtet wurden. Das bedeutet einen erheblichen logistischen und finanziellen Aufwand. Deshalb wird fast immer darauf verzichtet – auf Kosten der Wissenschaftlichkeit! Man nimmt lieber wenige Leute, setzt sie alle zusammen ein paar Minuten oder Stunden einem Experiment aus – und fertig ist die Studie!
– Wenn die Versuchsergebnisse für Menschen relevant sein sollen, dürfen keine Tiere getestet werden. Es müssen sowohl Männer als auch Frauen daran teilnehmen. Die Versuchspersonen sollten verschiedenen Altersgruppen, Bildungsgraden und Milieus
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