Lob der Faulheit
ist in so kurzer Zeit eine dramatische Entwicklung. Sie bedroht die Lebensqualität empfindlich. In Deutschland geht der Trend in dieselbe Richtung. Beziehungslosigkeit und Entsolidarisierung nehmen ständig zu. Jeder Fünfte Deutsche lebte 2011 allein. Das gilt für Frauen und Männer gleichmaßen. Die Zahl der Alleinlebenden ist in den vergangenen zwanzig 20 Jahren um 40 Prozent gestiegen.
Sich für etwas engagieren, das man mag, macht glücklich. Bei uns dagegen zählen nur Mühe und Arbeit. Der Sinn der Tätigkeiten, ihr Nutzen für die Allgemeinheit ist zweitrangig. Hauptsache, das Bruttosozialprodukt steigt. Blinder Aktionismus, Betriebsamkeit um ihrer selbst willen hat überall Konjunktur. Wer fleißig ist und Überstunden leistet, erhält gesellschaftliche Anerkennung. Workaholismus wird bewundert. Kaum einer schüttelt den Kopf darüber, dass unsere PolitikerInnen sieben Tage in der Woche rund um die Uhr im Einsatz sind und dafür ihr Familienleben und ihre Freundschaften opfern.
Dass Menschen sich in ihrem Beruf für etwas engagieren, das sie mögen, ist die Ausnahme. Sie ordnen sich stattdessen fremden Zwecken unter. Wer hat als Kind davon geträumt, teure Versicherungen zu verkaufen, die niemand braucht? Wer liebt es, überflüssige und oft sogar schädliche Medikamente unter die Leute zu bringen? Wen erfreut nichts stärker, als alle vier Jahre Versprechen abzugeben, die dann gebrochen werden?
Das Übermaß an Arbeit hindert die Menschen daran, befriedigende soziale Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Untersuchungen zeigen immer wieder, dass in einer durchschnittlichen
Ehe nur wenige Minuten am Tag miteinander gesprochen wird. Kinder sehen ihre Eltern immer seltener. Sie verbringen ihre Zeit mehr und mehr in Ganztagseinrichtungen, weil ihre Väter und Mütter schuften müssen, um am Ende unter Umständen doch nur zu den Working Poor (armen Arbeitern) zu gehören. Freundschaften beschränken sich oftmals auf den Austausch von SMS oder die Teilnahme an einem Blog. Die geforderte Mobilität der abhängig Beschäftigten lässt in großer Zahl Fernbeziehungen entstehen: Er arbeitet in Shanghai, sie in New York. Zum Trost kaufen sie sich etwas Teures und werden doch das Gefühl nicht los, dass etwas Entscheidendes in ihrem Leben fehlt.
Die maßlose, harte, erschöpfende Arbeit zerstört zuerst die Beziehung, die man zu sich selbst hat. Die leise innere Stimme, die einem den richtigen Weg weisen könnte, geht im Lärm des Stresses unter. Es fehlt die Zeit zum Nichtstun, zur Muße, zur Erholung.
Anderen Menschen zu helfen, macht glücklich. Stattdessen gefallen sich PolitikerInnen fast aller Parteien darin, den Ärmsten unter Missachtung der Verfassung den Grundbedarf zu kürzen oder von unzumutbaren Anforderungen abhängig zu machen. Entsolidarisierung scheint das Gebot der Stunde. Sich selbst die Taschen vollzustopfen und dann: »Haltet den Dieb« zu rufen, gilt als normal.
Dazu passt, dass in den letzten Jahren das Schimpfwort »Gutmensch« aufgetaucht ist. Damit wird soziales Engagement systematisch abgewertet. Wie die Vereinzelung und der Verrat an sich selbst ist die perverse Umkehr positiver Werte ein weiteres Indiz dafür, dass unsere Gesellschaft in die falsche Richtung rast. Das wahre Glück geht dabei unter.
Gut leben ohne Disziplin und Willensstärke
Zwang war gestern. Die Manipulation mittels Angstmache und schlechtem Gewissen ist vorbei. Jedenfalls theoretisch. Es kann noch geraume Zeit dauern, bis sich die neuen Methoden zur Selbststeuerung und Beeinflussung anderer herumgesprochen haben. Am Ende werden alle sagen, sie hätten es schon immer gewusst, dass Disziplin und Willensstärke unnötig sind.
Die Zukunft gehört der positiven Faulheit. Sie nutzt die neuesten psychologischen Erkenntnisse. Motivation, Flow, Spiel, Selbstmanagement und ähnliche Themen werden hoffentlich bald überall auf den Lehrplänen der Schulen und Universitäten stehen. Aber nicht nur das: Die neuen Methoden zum Umgang mit sich selbst und anderen müssen selbstverständlich praktiziert werden, in den Familien, Schulen, Betrieben, Verwaltungen, Kirchen.
Deshalb wäre es wünschenswert, dass zunächst die Eltern, LehrerInnen und ManagerInnen lernen, wie man sich motiviert und Spaß hat beim Leben und Arbeiten, und das nicht nur ausnahmsweise, sondern regelmäßig – täglich!
Die Praxis der Faulheit darzustellen, muss einem eigenen Buch vorbehalten bleiben. Trotzdem
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