Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lob der Stiefmutter

Lob der Stiefmutter

Titel: Lob der Stiefmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
und jeder Körperteil einen Tag lang im Mittelpunkt seiner Fürsorge stand, war vollkommene Gleichheit in der Pflege der Gesamtheit garantiert: es gab keine Bevorzugungen und Benachteiligungen, keine häßliche Hierarchie in der Behandlung und Achtung des Teils und des Ganzen. Er dachte: ›Mein Körper ist das sonst Unmögliche: die egalitäre Gesellschaft.‹
    Er füllte die Wasserschüssel mit lauem Wasser, setzte sich auf den Klodeckel und weichte seine Füße eine gute Weile ein, damit seine Fersen, Sohlen, Zehen,Knöchel und Riste abschwollen und geschmeidig wurden. Er hatte weder Hühneraugen noch Plattfüße, wohl aber einen zu hohen Rist. Bah, das war eine kleine Deformation, nicht wahrnehmbar für jemanden, der seine Füße nicht einer klinischen Untersuchung unterzog. Hinsichtlich Größe, Proportion, Form der Zehen und Fußnägel, Nomenklatur und Orographie der Knochen schien alles von passabler Normalität. Die Gefahr lag in den Verhärtungen und Schwielen, die hin und wieder versuchten, seine Füße zu entstellen. Aber er verstand es, das Übel stets rechtzeitig an der Wurzel zu packen.
    Der Bimsstein lag schon bereit. Er begann mit dem linken. Dort, am Rand der Ferse, wo die Reibung mit dem Schuh am stärksten ist, zeichnete sich bereits ein kleiner schwieliger Wildwuchs ab, der sich beim Berühren mit der Fingerkuppe wie eine unverputzte Wand anfühlte. Er rieb ihn mit dem Bimsstein ab, bis er verschwand. Freudig fühlte er, daß dieser Rand wieder die polierte Glätte der Umgebung angenommen hatte. Obwohl seine Finger sonst keine angehende Verhärtung oder Schwiele ausmachten, bürstete er vorsichtshalber mit dem Bimsstein die beiden Fußsohlen und die Riste und sogar die zehn Zehen beider Füße.
    Danach machte er sich daran, mit bereitliegender Schere und Feile die Nägel zu schneiden und zu feilen, ein überaus angenehmes Vergnügen. Die Gefahr, die es hier zu bannen galt, war der Niednagel. Er hatteeine unfehlbare Methode, Ergebnis seiner geduldigen Beobachtung und seiner praktischen Phantasie: er schnitt den Nagel halbmondförmig und ließ an den Seiten zwei kleine Hörnchen stehen, die dank ihrer Form über das Fleisch hinausragten und niemals mit ihm verwachsen konnten. Diese sarazenischen Fußnägel ließen sich überdies aufgrund ihrer Mondgestalt im abnehmenden Viertel besser säubern: die Spitze der Feile drang leichter in diese Art Graben oder kleine Mulde zwischen Nagel und Fleisch ein, wo sich der Schmutz sammeln, der Schweiß verklumpen, irgendein Unrat einnisten konnte. Als er mit dem Schneiden, Reinigen und Feilen der Nägel fertig war, pusselte er so lange an den Häutchen herum, bis er sie von all jenen mysteriösen weißlichen Substanzen befreit hatte, die sich durch Reibungen, mangelnde Lüftung und Schweiß in diesen Fußfalten bilden.
    Nach vollendeter Arbeit betrachtete und befühlte er seine Füße mit liebevoller Zufriedenheit. Er warf die Häutchen und schmutzigen Schnipsel, die er auf einem Stück Toilettenpapier gesammelt hatte, in die Kloschüssel und zog die Wasserspülung. Danach seifte und spülte er seine Füße mit großer Sorgfalt. Und nach dem Abtrocknen bestäubte er sie mit einem fast unsichtbaren Puder, der einen leichten, männlichen Duft nach Heliotrop im Morgengrauen verströmte.
    Ihm blieben noch die unveränderlichen Verrichtungen des Rituals: Mund und Achselhöhlen. Wenn er sich auch mit allen fünf Sinnen auf sie konzentrierteund sich die nötige Zeit nahm, um den Erfolg der Operation sicherzustellen, beherrschte er den Ritus doch in einem Maße, daß seine Aufmerksamkeit abschweifen und sich teilweise auf ein ästhetisches Prinzip richten konnte – jeweils auf ein anderes an jedem Wochentag –, das dem Manual, der Gesetzestafel, den Geboten entnommen war, die er selbst in unveränderter Heimlichkeit bei seinen abendlichen Enklaven erarbeitet hatte, welche unter dem Vorwand der Körperpflege seine besondere Religion darstellten und seine persönliche Art, die Utopie zu verwirklichen.
    Während er auf der ockerfarbenen, weißgeäderten Marmorplatte die Bestandteile des mündlichen Offertoriums bereitstellte – ein wassergefülltes Glas, Zahnseide, Zahnpasta, Zahnbürste –, wählte er eines der Postulate aus, deren er sich am sichersten war, ein Prinzip, an dem er, als es erst einmal formuliert war, niemals gezweifelt hatte: ›Alles, was glänzt, ist häßlich, vor allem glänzende Menschen.‹ Er nahm einen Schluck Wasser in den Mund und spülte ihn

Weitere Kostenlose Bücher