Lob der Stiefmutter
Meeresbrise gemahnte, die Gewächshäuser voller Blumen durchweht und deren Duft in sich aufgenommen hatte.
›Ich bin vollkommen‹, dachte er, während er sich im Spiegel betrachtete und sich roch. In seinem Gedanken lag nicht der winzigste Anflug von Eitelkeit. Diese sorgfältige Pflege seines Körpers diente nicht dem Ziel, ihn schmucker oder weniger häßlich zu machen,Koketterien, die auf irgendeine Weise – zumeist unbewußt – dem verachteten Herdenideal huldigten – war man denn nicht immer für die anderen »schön«? Vielmehr gab sie ihm das Gefühl, daß er auf diese Weise in einer Hinsicht der grausamen Wühlarbeit der Zeit entgegenwirkte, daß er so den unseligen Verfall hemmte oder aufhielt, den die niederträchtige Natur allem Lebendigen aufzwingt. Das Gefühl, diesen Kampf auszutragen, tat seiner Seele gut. Aber darüber hinaus kämpfte er, seit er geheiratet hatte und ohne daß Lukrezia davon wußte, auch im Namen seiner Frau gegen den Verfall seines Körpers. ›Wie Amadis für Oriana‹, dachte er. Er dachte: ›Für dich und für mich, mein Liebling.‹
Die Aussicht, nach dem Löschen des Lichts und dem Verlassen des Badezimmers im Bett seine Frau vorzufinden, die ihn im sinnlichem Halbschlummer erwartete, alle Schwellkörper in Bereitschaft und gewillt, durch seine Liebkosungen geweckt zu werden, ließ ihn von Kopf bis Fuß erschauern. »Du bist vierzig Jahre alt geworden und niemals schöner gewesen«, murmelte er, während er sich zur Tür wandte. »Ich liebe dich, Lukrezia.«
Eine Sekunde bevor das Badezimmer in Dunkelheit versank, gewahrte er in einem der Spiegel, daß seine Emotionen und Gedankenspiele seinen Körper bereits in eine kriegerische Gestalt verwandelt hatten, deren Profil an das wundersame Tier der mittelalterlichen Mythologie gemahnte: das Einhorn.
7.
Venus mit Amor und Musik
Sie ist Venus, die Italienerin, Tochter des Jupiter, Schwester Aphrodites, der Griechin. Der Orgelspieler gibt ihr Musikunterricht. Ich heiße Amor. Klein, weich, rosig und geflügelt, bin ich tausend Jahre alt und keusch wie eine Libelle. Der Hirsch, der Pfau und das Rotwild, die man durch das Fenster sehen kann, sind ebenso lebendig wie das verschlungene Liebespaar, das im Schatten der Bäume auf der Allee wandelt. Der Satyr des Brunnens hingegen, über dessen Kopf aus einem alabasternen Krug kristallklares Wasser sprudelt, ist es nicht: er ist aus toskanischem Marmor, den ein geschickter Künstler aus dem Süden Frankreichs modelliert hat.
Auch wir drei sind munter und lebendig, wie der Bach, der murmelnd zwischen Steinen den Berg hinabfließt, oder das wirre Geschwätz der Papageien, die ein Händler aus Afrika Don Rigoberto, unserem Herrn, verkauft hat. (Die gefangenen Tiere langweilen sich jetzt in einem Käfig im Garten.) Die Dämmerung hat schon begonnen, und bald wird die Nacht hereinbrechen. Wenn sie mit ihren lumpigen, bleifarbenen Gewändern Einzug hält, wird die Orgel verstummen; ich und der Musiklehrer, wir werden unsdann entfernen müssen, damit der Gebieter über alles hier Sichtbare diesen Raum betreten und Besitz von seiner Frau ergreifen kann. Dank unserer Bemühungen und guten Dienste wird Venus dann bereit sein, ihn zu empfangen und zu unterhalten, wie es seinem Vermögen und seinem Rang gebührt. Das heißt mit dem Feuer eines Vulkans, der Sinnlichkeit einer Schlange und den Zärteleien einer Angorakatze.
Der junge Lehrer und ich, wir sind nicht hier, um zu genießen, sondern um zu arbeiten, obwohl sich im Grunde jede wirksam und mit Überzeugung verrichtete Arbeit in Vergnügen wandelt. Unsere Aufgabe besteht darin, die körperliche Freude der Herrin zu wecken, indem wir die Asche jedes einzelnen ihrer fünf Sinne zum Lodern bringen und ihren blonden Kopf mit schmutzigen Phantasien bevölkern. So möchte Don Rigoberto sie gern aus unseren Händen empfangen: glühend vor Begierde, bar aller moralischen und religiösen Vorbehalte, Geist und Körper bebend vor Gelüsten. Diese Aufgabe ist angenehm, aber nicht einfach; sie erfordert Geduld, Finesse und Geschick in der Kunst, das Ungestüm des Triebes mit dem Feinsinn des Geistes und den zärtlichen Gefühlen des Herzens in Einklang zu bringen.
Die geistliche Musik der Orgel mit ihren wiederkehrenden Motiven schafft die geeignete Atmosphäre. Man glaubt gemeinhin, daß die Orgel ob ihrer engen Verbindung mit der Messe und dem religiösen Gesang den gewöhnlichen Sterblichen, den ihre Wellenbaden, entsinnlicht oder sogar
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