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Lob der Stiefmutter

Lob der Stiefmutter

Titel: Lob der Stiefmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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entkörpert. Ein krasser Irrtum. Denn die Orgelmusik mit ihrem bohrenden Schmachten und ihren sanften Katzenlauten enthebt den Christen lediglich seines Jahrhunderts und seiner prosaischen Existenz, sie isoliert seinen Geist in einer Weise, daß er sich etwas Ausschließlichem, etwas anderem zuwenden kann: Gott und dem Heil, gewiß, in zahllosen Fällen; aber ebenso, in vielen anderen Fällen, der Sünde, dem Verderben, der Unzucht und sonstigen schaurigen Synonymen dessen, was in diesem einfachen Wort Ausdruck findet: Lust.
    Der Klang der Orgel macht unsere Herrin ruhig und andächtig; sanfte Reglosigkeit, ähnlich der Ekstase, bemächtigt sich ihrer; dann schließt sie die Augen, um die Melodie tiefer in sich hineinzulassen, und während die Musik sie mehr und mehr durchdringt, schwinden aus ihrem Bewußtsein die Sorgen und Ärgernisse des Tages, und es leert sich von allem, was nicht Hören, nicht reine Empfindung ist. Dies ist der Beginn. Der Lehrer spielt gewandt und flüssig, ohne Hast, in einem sanften, aufreizenden Crescendo, und er wählt zweideutige Melodien, die uns auf geheimnisvolle Weise in die kargen Zellen entführen, in denen die Zucht des heiligen Bernhard waltet, zu den Straßenprozessionen, die sich unversehens in einen heidnischen Karneval verwandeln, und von dort übergangslos zum gregorianischen Chor einer Abtei oder zur gesungenen Messe einer Kathedrale imGlanz des Kardinalpurpurs und zuletzt zum promiskuosen Maskenball eines Adelshauses außerhalb der Stadt. Der Wein fließt in Strömen, und in den Gartenlauben herrscht verdächtiges Hin und Her. Ein schönes Hirtenmädchen, das auf den Knien eines geilen, dickbäuchigen Alten sitzt, nimmt sich plötzlich die Maske ab. Und wer ist es? Einer der jungen Stallburschen! Oder der androgyne Dorftölpel mit der Rute eines Mannes und den Brüsten einer Frau!
    Meine Herrin sieht all diese Bilder, weil ich sie ihr im Takt der Musik mit leiser, lüsterner Stimme ins Ohr flüstere. Weise wie ich bin, übersetze ich ihr die Noten der Orgel, meiner Komplizin, in Formen, Farben, Gestalten und anregende Handlungen. Das tue ich in ebendiesem Augenblick, halb auf ihrem Rücken hockend, während ich mein rosiges kleines Gesicht pfeilspitz über ihre Schulter strecke: ich flüstere ihr sündige Fabeln ein. Geschichten, die sie zerstreuen und zum Lachen bringen, Geschichten, die sie bestürzen und erhitzen.
    Der Lehrer darf nicht einen Augenblick von der Orgel ablassen: es geht um seinen Kopf. Don Rigoberto hat ihn gewarnt: »Wenn diese Orgelpfeifen auch nur einen einzigen Augenblick aussetzen, werde ich daraus folgern, daß du der Versuchung der Berührung erlegen bist. Dann werde ich dir diesen Dolch ins Herz stoßen und deinen Leichnam den Bluthunden vorwerfen. Jetzt werden wir erfahren, was stärker ist bei dir, Jüngling: das Verlangen nach meiner Schönenoder die Liebe zu deinem Leben.« Natürlich ist es die Liebe zu seinem Leben.
    Aber es ist ihm erlaubt zu schauen, während er die Tasten anschlägt. Ein Privileg, das ihn ehrt und erhebt, das ihm das Gefühl gibt, ein Monarch oder Gott zu sein. Er nutzt es mit wollüstigem Behagen. Zudem erleichtern und ergänzen seine Blicke meine Arbeit: wenn unsere Herrin die inbrünstige Reverenz gewahrt, die ihr die Augen dieses jugendlichen Antlitzes erweisen, und das fiebernde Begehren ahnt, das ihre weichen weißen Formen bei diesem empfindsamen Jüngling wecken, kann sie nicht umhin, eine gewisse Erregung zu verspüren und lüsterne Gefühle in sich aufsteigen zu lassen.
    Besonders, wenn der Orgelspieler sie betrachtet, wo er sie betrachtet. Was findet oder sucht der junge Musiker in diesem Venuswinkel? Was versuchen seine jungfräulichen Pupillen zu durchdringen? Was bannt ihn so an dieses Dreieck durchsichtiger Haut, das kleine blaue Adern wie Bächlein durchziehen, beschattet vom enthaarten Hain des Schamhügels? Ich wüßte es nicht zu sagen, und ich glaube, er auch nicht. Aber etwas gibt es dort, das seinen Blick jeden Nachmittag mit schicksalhaftem Zwang oder magischem Zauber anzieht. Etwas wie die Ahnung, daß am Fuß des sonnigen kleinen Venusberges, in der zarten Spalte, die von den gedrechselten Säulen der Oberschenkel unserer Herrin geschützt wird, weich, rötlich, feucht von heimlichem Tau, die Quelle desLebens und der Lust sprudelt. Sehr bald wird unser Herr Don Rigoberto sich neigen, um in ihr seine Ambrosia zu trinken. Der Orgelspieler weiß, daß dieser Trank ihm auf immer verboten ist, denn er

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