Lob der Stiefmutter
kräftig aus, wobei er im Spiegel sah, wie seine Wangen sich blähten, während er mit dem Spülen fortfuhr, um auch die kleinsten Reste zu lösen, die am Zahnfleisch klebten oder locker zwischen den Zähnen hingen. ›Es gibt glänzende Städte, glänzende Bilder und Gedichte, glänzende Feste, Landschaften, Geschäfte und Dissertationen‹, dachte er. Sie galt es zu meiden wie die unvollwichtige Münze, sosehr sie auch blenden mochte, oder jene mit Früchten und Fähnchen verziertenund mit Sirup gezuckerten tropischen Getränke für Touristen.
Jetzt hielt er zwischen Daumen und Zeigefinger jeder Hand ein zwanzig Zentimeter langes Stück Zahnseide. Er begann wie immer mit der oberen Zahnreihe, von rechts nach links und dann von links nach rechts, wobei er jeweils bei den Schneidezähnen anfing. Er führte den Seidenfaden in den engen Zwischenraum ein und hob mit ihm die Ränder des Zahnfleischs an; dies war die Stelle, wo sich immer die widerlichen Brotkrumen, Fleischfasern, Gemüsezasern und die Fibern und Schalenreste vom Obst festsetzten. Mit kindlicher Freude sah er diese Bastardsubstanzen dank des Fadens und seiner geschickten Akrobatik zum Vorschein kommen. Er spuckte sie ins Waschbecken und sah sie durch den Abfluß gleiten und verschwinden, fortgeschwemmt im Wirbel der kleinen Wasserhose, die aus der Leitung kam. Währenddessen dachte er: ›Es gibt glänzende Haare, die stumpfe Gehirne krönen oder sie zu solchen machen. Das häßlichste Wort im Spanischen heißt Brillantine.‹ Als er mit der oberen Zahnreihe fertig war, spülte er sich von neuem den Mund aus und säuberte den Seidenfaden im Strahl der Wasserleitung. Dann machte er sich mit dem gleichen Feuer und ebensolcher Professionalität an die Reinigung der Vorder- und Backenzähne der unteren Etage. ›Es gibt glänzende Unterhaltungen, glänzende Musikstücke, glänzende Krankheiten wie die Pollenallergie, die Gicht, die Depressionenund den Streß. Und es gibt natürlich glänzende Brillanten.‹ Er spülte sich noch einmal den Mund und warf das Stück Zahnseide in den Abfalleimer.
Nun konnte er sich beruhigt die Zähne putzen. Er tat es, indem er die Zahnbürste langsam und mit Nachdruck von oben nach unten bewegte, damit die – natürlichen, niemals aus Plastik hergestellten – Borsten auf der Suche nach Essensresten, die der Wühlarbeit der Zahnseide widerstanden hatten, tief in die Knochenfugen eindringen konnten. Er bürstete zuerst die Hinter- und dann die Vorderseite. Nach der letzten Spülung spürte er in seinem Mund diesen angenehmen Geschmack nach Menthol und Zitrone, so erfrischend und jugendlich, als hätte in dieser von Zahnfleisch und Gaumen umrahmten Höhle jemand einen Ventilator angestellt, die Klimaanlage eingeschaltet und seine Vorder- und Backenzähne wären nicht mehr die gewohnten harten, fühllosen Knochen, sondern hätten die Empfindlichkeit von Lippen angenommen. ›Meine Zähne glänzen‹, dachte er, nicht ohne Angst. ›Na gut, vielleicht ist das die Ausnahme, die die Regel bestätigt.‹ Er dachte: ›Es gibt glänzende Pflanzen, wie die Rose. Und glänzende Tiere, wie die Angorakatze.‹
Plötzlich stellte er sich Doña Lukrezia nackt vor, wie sie mit einem Dutzend kleiner Angorakatzen spielte, die sich miauend an allen Rundungen ihres schönen Körpers rieben, und machte sich rasch daran,seine Achselhöhlen zu waschen, in der Furcht, eine vorzeitige Erektion zu erleben. Er tat dies mehrere Male jeden Tag: morgens beim Duschen und mittags in der Toilette der Versicherungsgesellschaft, bevor er zum Essen ging. Aber nur jetzt, beim allabendlichen Ritual, tat er es bewußt und mit Genuß, als handelte es sich nachgerade um ein verbotenes Vergnügen. Er spülte zunächst die beiden Achselhöhlen mit lauwarmem Wasser, auch die Arme, und rieb sie kräftig, um den Blutkreislauf anzuregen. Dann ließ er das Waschbecken mit warmem Wasser vollaufen und löste ein wenig parfümierte Seife darin auf, bis er sah, daß sich die klare Oberfläche schaumig kräuselte. Er tauchte jeden der Arme in die liebkosende Wärme und rieb sich geduldig und zärtlich die Achselhöhlen, während seine braunen Haare sich im Seifenwasser entwirrten und verwirrten. Unterdessen ging es in seinem Kopf weiter: ›Es gibt glänzende Düfte wie den der Rose und des Kampfers.‹ Schließlich trocknete er sich ab und erfrischte seine Achselhöhlen mit einem ganz leicht duftenden Kölnischwasser, das an den Geruch meernasser Haut oder an eine
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