Lob der Stiefmutter
Fonchito?«
»Ich bring mich um«, hörte Doña Lukrezia ihn sagen, während er sie unverwandt anschaute, ohne sich zu rühren. Aber nach einigen Sekunden fiel seine Fassung in sich zusammen, und seine Augen wurden feucht: »Weil du mich nicht mehr liebhast, Stiefmutter.«
Der halb schmerzliche, halb aggressive Ton, mit dem er sprach, während sein kleines Gesicht sich zu einer Schippe verzog, deren er vergeblich Herr zu werden versuchte, die Worte eines verlassenen Liebhabers, die er benutzte und die so wenig zu der kleinen bartlosen Gestalt in kurzen Hosen passen wollten, entwaffneten Doña Lukrezia. Sie verharrte stumm, mit offenem Mund, und wußte nicht, was sie antworten sollte.
»Aber was sagst du denn da für Dummheiten, Fonchito«, murmelte sie schließlich, nur halbwegs gefaßt. »Ich soll dich nicht liebhaben? Aber mein Herz, du bist doch wie mein Sohn. Ich hab dich …«
Sie verstummte, weil Alfonso, der ihr entgegengesunken war und ihre Taille umschlungen hielt, plötzlich in Tränen ausbrach. Er schluchzte, das Gesicht an Doña Lukrezias Bauch gepreßt, den kleinen Körper von Seufzern geschüttelt, mit dem angstvollenJapsen eines jungen hungrigen Hundes. Jetzt war er wirklich ein Kind; die Verzweiflung, mit der er weinte, und die Schamlosigkeit, mit der er sein Leiden ausbreitete, ließen keinen Zweifel daran. Doña Lukrezia, die gegen die Rührung ankämpfte, die ihr den Hals zusammenschnürte, und deren Augen schon feucht geworden waren, strich ihm zärtlich über die Haare. Verwirrt, zwischen widerstreitenden Gefühlen schwankend, hörte sie, wie er stotternd und klagend sein Herz ausschüttete.
»Seit Tagen sprichst du nicht mehr mit mir. Ich frag dich was, und du drehst dich um. Ich darf dir keinen Guten-Morgen-Kuß und keinen Gute-Nacht-Kuß mehr geben, und wenn ich von der Schule komme, schaust du mich an, als würde es dich stören, daß ich nach Hause komme. Warum, Stiefmutter? Was hab ich dir getan?«
Doña Lukrezia widersprach ihm und küßte ihn auf das Haar. Nein, Fonchito, nichts davon stimmt. Wie empfindlich du bist, mein Kleines. Sie versuchte es ihm so schonend wie möglich zu erklären. Wie könnte sie ihn denn nicht liebhaben? Sehr, sehr lieb, mein Herzchen. Sie war doch in allem für ihn da und dachte immer an ihn, wenn er in der Schule war oder mit seinen Freunden Fußball spielte. Es war nur einfach nicht gut, daß er so an ihrem Rockzipfel hing, daß er sich so sehr nach seiner Stiefmutter verzehrte.
Es konnte ihm schaden, Dummerchen, so impulsiv und heftig zu empfinden. Gefühlsmäßig gesehen, wares besser, wenn er nicht so sehr von jemandem wie ihr abhing, die so viel älter war als er. Seine Zuneigung, seine Interessen sollten sich auf andere Personen verteilen, sich vor allem den Kindern seines Alters, seinen Freunden, seinen Cousins zuwenden. Auf diese Weise würde er rascher wachsen, eine eigene Persönlichkeit entwickeln, der gestandene junge Mann werden, auf den sie und Don Rigoberto dann später so stolz sein würden.
Aber etwas in Doña Lukrezias Herzen widersprach den eigenen Worten. Sie war sicher, daß auch das Kind ihnen keine Beachtung schenkte. Vielleicht hörte es sie nicht einmal. ›Ich glaube kein Wort von dem, was ich ihm sage‹, dachte sie. Jetzt, da die Schluchzer aufgehört hatten, obwohl ihm noch ab und zu ein tiefer Seufzer entfuhr, schien sich Alfonsito auf die Hände seiner Stiefmutter zu konzentrieren. Er hielt sie gefaßt und küßte sie langsam, schüchtern, mit Inbrunst. Dann rieb er sie an seiner samtweichen Wange, und Doña Lukrezia hörte ihn leise murmeln, als spräche er nur zu den zarten Fingern, die er fest drückte: »Ich hab dich sehr lieb, Stiefmutter. Sehr, sehr lieb … Du darfst mich niemals wieder so behandeln wie in den letzten Tagen, sonst bring ich mich um. Ich schwör dir, ich bring mich um.«
Und dann war es, als würde plötzlich ein Damm in ihr brechen und ein wilder Strom gegen ihre Vorsicht und ihre Vernunft anfluten, sie überschwemmen und uralte, niemals in Zweifel gezogene Grundsätze, ja ihrenSelbsterhaltungstrieb in nichts auflösen. Sie ging in die Hocke, stützte ein Knie auf den Boden, um auf gleicher Höhe mit dem Kind zu sein, und umarmte und liebkoste es, frei von Hemmungen, mit dem Gefühl, eine andere zu sein und im Herzen eines Sturms zu stehen.
»Nie wieder«, wiederholte sie mit Mühe, denn vor lauter Aufregung konnte sie kaum die Worte artikulieren. »Ich verspreche dir, daß ich dich nie wieder so
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