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Lob der Stiefmutter

Lob der Stiefmutter

Titel: Lob der Stiefmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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behandeln werde. Die Kälte in diesen Tagen war gespielt, mein Kleines. Wie dumm ich gewesen bin, ich wollte dir etwas Gutes tun und hab dir weh getan. Verzeih mir, mein Herz …«
    Und während sie dies sagte, küßte sie ihn auf sein zerwühltes Haar, auf die Stirn, auf die Wangen und spürte auf ihren Lippen das Salz seiner Tränen. Als der Mund des Kindes den ihren suchte, verweigerte sie ihn nicht. Sie schloß halb die Augen, ließ sich küssen und erwiderte seinen Kuß. Nach einer Weile faßten die Lippen des Kindes Mut und wurden hartnäckiger, drängender: da öffnete sie die ihren und ließ zu, daß eine nervöse kleine Schlange, zunächst ungeschickt und ängstlich, dann immer kühner, ihren Mund erkundete, ihn über ihr Zahnfleisch und ihre Zähne hinweg von einer Seite zur anderen durcheilte, und sie stieß auch die Hand nicht zurück, die sie plötzlich auf einer ihrer Brüste spürte. Dort verharrte sie einen Augenblick, still, als wollte sie Kraft schöpfen; dann bewegte sie sich, machte sich hohl und liebkostesie in einer respektvollen Bewegung, mit zartem Druck. Obwohl im tiefsten Innern eine Stimme sie drängte, aufzustehen und fortzugehen, rührte sich Doña Lukrezia nicht. Vielmehr drückte sie das Kind an sich und küßte es hemmungslos, mit einer Heftigkeit und einer Freiheit, die im Rhythmus ihres Verlangens zunahmen. Bis sie wie im Traum das Bremsen eines Autos hörte und kurz darauf die Stimme ihres Mannes, der sie rief.
    Entsetzt sprang sie auf; ihre Angst wirkte ansteckend auf das Kind, in dessen Augen der Schreck geschrieben stand. Sie sah Alfonsos durcheinandergeratene Kleidung, die Spuren von Lippenstift auf seinem Mund. »Geh dich waschen«, befahl sie ihm hastig mit einer Kopfbewegung, und das Kind nickte und lief ins Badezimmer.
    Sie verließ das Zimmer mit einem Gefühl von Schwindel, durchquerte beinahe stolpernd den kleinen Salon, der auf den Garten hinausging, und schloß sich in der Besuchertoilette ein. Ihre Knie waren weich, als wäre sie gerannt. Als sie ihr Gesicht im Spiegel erblickte, überkam sie ein hysterischer Lachanfall, den sie erstickte, indem sie sich den Mund zuhielt.
    ›Törichtes Weib, verrücktes Weib‹, beschimpfte sie sich, während sie das Gesicht mit kaltem Wasser befeuchtete. Dann setzte sie sich auf das Bidet und ließ eine ganze Weile das Wasser laufen. Sie unterzog sich einer peinlich genauen Reinigung, ordnete ihre Kleidung und ihre Gesichtszüge und blieb dort, bis siesich wieder völlig gelassen fühlte und die Gewalt über ihr Gesicht und ihre Mimik zurückgewonnen hatte. Als sie hinausging, um ihren Mann zu begrüßen, war sie frisch und heiter, als wäre ihr nichts Außergewöhnliches zugestoßen. Aber obwohl sie Don Rigoberto ebenso liebevoll und fürsorglich erschien wie jeden Tag, überströmend vor Zärtlichkeiten und Aufmerksamkeiten, und er ihren Anekdoten vom Tage mit dem gleichen Interesse wie immer lauschte, nagte in Doña Lukrezia ein verborgenes Unbehagen, das sie nicht einen Augenblick verließ, eine Verstimmung, die ihr von Zeit zu Zeit einen Schauer über den Rücken jagte und ein hohles Gefühl im Bauch verursachte.
    Das Kind aß mit ihnen zu Abend. Es war zurückhaltend und brav, wie gewohnt. Mit übermütigem Lachen freute es sich über die Witze seines Vaters und bat ihn sogar, ihnen noch mehr zu erzählen, »die mit schwarzem Humor, Papa, die ein bißchen unanständig sind«. Als ihre Augen sich mit den seinen trafen, stellte Doña Lukrezia verwundert fest, daß sie in diesem unbefangenen blaßblauen Blick nicht den Schatten einer Wolke, nicht das winzigste spitzbübische oder komplizenhafte Funkeln gewahrte.
    Stunden später, in der dunklen Intimität des Schlafzimmers, flüsterte Don Rigoberto einmal mehr, daß er sie liebe, und während er sie mit Küssen bedeckte, dankte er ihr für all die Tage und Nächte, für das unendliche Glück, das sie ihm schenke. »Seitdem wir geheiratet haben, lerne ich leben, Lukrezia«, hörte sieihn schwärmerisch sagen. »Wenn es dich nicht gäbe, wäre ich gestorben, ohne all das zu erfahren, ohne überhaupt zu ahnen, was das wirklich ist: Sinnenlust.« Sie nahm seine Worte bewegt und glücklich auf, aber auch jetzt konnte sie nicht aufhören, an das Kind zu denken. Doch die Nähe dieses Eindringlings, die engelhafte Gegenwart dieses fremden Blicks verringerte ihren Genuß nicht, sondern gab ihm vielmehr eine verwirrende, feurige Würze.
    »Fragst du mich nicht, wer ich bin?« murmelte Don

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