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Lob der Stiefmutter

Lob der Stiefmutter

Titel: Lob der Stiefmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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den meisten Menschen als widerlich empfundenerGerüche nicht minder lebensnotwendig war als Essen und Trinken. Er versuchte sich den Dichter Friedrich Schiller vorzustellen, wie er seine empfindliche Nase begierig in die fauligen Äpfel steckte, die ihn anregten und auf das dichterische Schaffen und die Liebe einstimmten, so wie Don Rigoberto sich von seinen erotischen Figurinen beflügeln ließ. Dann richtete er seine Phantasie auf das beunruhigende Privatrezept des eleganten Historikers der Französischen Revolution, Michelet – eine seiner Launen bestand darin, seine Geliebte Athene beim Menstruieren zu beobachten –, der, wenn Müdigkeit und Lustlosigkeit ihn übermannten, die Manuskripte, Pergamente und Karteikarten seines Studierzimmers verließ und sich heimlich, wie ein Dieb, zu den Latrinen des Hauses schlich. Don Rigoberto sah ihn vor sich: mit Weste, Gehrock mit zwei Schößen, Überschuhen und vielleicht Tuchkrawatte kniete er ehrfürchtig vor der Kloschüssel und atmete mit kindlichem Genuß die stinkenden Miasmen ein, die ihm, sobald sie in das Gekröse seines romantischen Gehirns gelangt waren, wieder zu Begeisterung und Tatkraft, körperlicher und geistiger Frische, intellektuellem Impetus und großherzigen Idealen verhalfen. ›Was bin ich doch normal, verglichen mit diesen Originalen‹, dachte er. Aber er fühlte sich nicht entmutigt oder unterlegen. Die Glückseligkeit, die er in seinen einsamen hygienischen Exerzitien und vor allem in der Liebe seiner Frau gefunden hatte, schien ihm Ausgleich genug für seineNormalität. Wozu sollte er reich, berühmt, extravagant, genial sein, wenn er das besaß? Das bescheidene Dunkel, als das sein Leben sich den anderen darbot, die routinehafte Existenz als Geschäftsführer einer Versicherungsgesellschaft, verbarg etwas, das, wie er sicher wußte, wenige seinesgleichen genossen oder von dem sie überhaupt ahnten, daß es existierte: das mögliche Glück. Vergänglich und verborgen, gewiß, winzigklein sogar, aber wahr, greifbar, nächtlich, lebendig. In diesem Augenblick spürte er es wie eine Aureole, die ihn umgab, und in wenigen Minuten würde er das Glück sein, und das Glück würde auch seine Frau mit ihm sein und mit dem Glück, vereint in ihrer beider tiefen Dreieinigkeit, in der die Lust sie eins oder besser drei werden ließ. Hatte er vielleicht das Mysterium der Dreieinigkeit gelöst? Er lächelte: nun mal halblang, du Schlauberger. Es war nur eine kleine Lebensweisheit, um den Enttäuschungen und Widerwärtigkeiten, mit denen das Leben gespickt war, hin und wieder ein Gegengift entgegenzusetzen. Er dachte: ›Die Phantasie unterläuft das Leben, Gott sei Dank.‹
    Als er durch die Tür des Schlafzimmers trat, seufzte er bebend auf.

11.
Nach Tisch
    »Ich werde dir was sagen, was du nicht weißt, Stiefmutter«, rief Alfonso aus, ein kleines Funkeln in den Pupillen. »Auf dem Bild im Wohnzimmer, da bist du drauf.«
    Sein Gesicht strahlte fröhlich, und er wartete mit einem kleinen spitzbübischen Lächeln, daß sie die verborgene Absicht in dem erriet, was er gerade angedeutet hatte.
    ›Er ist wieder ein Kind‹, dachte Doña Lukrezia, eingesponnen in einen lauen Kokon aus Mattigkeit, auf halbem Weg zwischen Wachheit und Schlaf. Eben noch war er ein freier, instinktsicherer kleiner Mann gewesen, der sie wie ein geschickter Reiter bestiegen hatte. Jetzt war er wieder ein glückliches Kind, das Spaß daran fand, mit seiner Stiefmutter Rätselraten zu spielen. Er kniete nackt, auf seinen Fersen sitzend, am Fußende des Bettes, und sie konnte nicht der Versuchung widerstehen, die Hand auszustrecken und sie auf den blonden honigfarbenen Oberschenkel mit dem kaum sichtbaren, schweißglänzenden Flaum zu legen. ›So müssen die griechischen Götter gewesen sein‹, dachte sie. ›Die Amoretten der Gemälde, die Pagen der Prinzessinnen, die kleinen Geister aus TausendundeinerNacht, die Spintrien aus dem Buch von Sueton.‹ Sie grub ihre Finger in das junge, lockere Fleisch und dachte mit wollüstigem Erschauern: ›Du bist glücklich wie eine Königin, Lukrezia.‹
    »Aber im Wohnzimmer hängt doch ein Szyszlo«, murmelte sie lustlos. »Ein abstraktes Bild, mein Kleines.«
    Alfonsito brach in lautes Lachen aus.
    »Und die da drauf bist du«, versicherte er. Plötzlich wurde er rot bis über beide Ohren, als hätte ein heißer Luftstrom ihn erhitzt. »Ich hab das heute morgen entdeckt, Stiefmutter. Aber wie, das sag ich dir nicht, und wenn du mich

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