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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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Grundsätze Einzelheiten zu erfassen. In einigen Fällen kann sich das als unmöglich erweisen. Zum Beispiel…« Er hielt einen Augenblick inne, um einen Stoß Notizzettel hervorzuziehen, und blätterte ihn rasch durch. »Hier ein Zitat, daß ich unten vergraben fand. Es handelt sich um ein vier Seiten umfassendes Bruchstück eines Buches, das ein Text höherer Physik gewesen sein mag:
    ›… und wenn in der Formel für den Abstand zwischen zwei Ereignispunkten die räumlichen Ausdrücke vorherrschen, soll der Abstand als raumartig verstanden werden, weil es so möglich ist, ein Koordinatensystem zu wählen – einem Beobachter unter zulässiger Geschwindigkeit zugehörig –, in welchem die Ereignisse gleichzeitig erscheinen und deshalb nur räumlich getrennt sind. Ist jedoch der Abstand zeitlich, so können die Ereignisse in keinem Koordinatensystem gleichzeitig auftreten; doch gibt es ein Koordinatensystem, in dem die räumlichen Ausdrücke gänzlich verschwinden, wobei der trennende Abstand rein zeitlich sein wird, das heißt, sie werden sich am selben Ort ereignen, doch zu unterschiedlichen Zeiten. Bei der Untersuchung der Endpunkte des wirklichen Abstands…‹«
    Er blickte mit einem merkwürdigen Lächeln auf. »Hat sich irgend jemand in letzter Zeit die angeführte Stelle angesehen?«
    Das Meer der Gesichter blieb regungslos.
    »Erinnert sich jemand, sie je gesehen zu haben?«
    Kornhoer und zwei andere hoben zaghaft die Hände.
    »Weiß jemand, was sie bedeutet?«
    Die Hände senkten sich schnell.
    Der Thon sagte unter leisem Lachen: »Ihr folgen dann anderthalb Seiten mathematische Berechnungen, die ich jetzt nicht versuchen werde vorzutragen, aber sie behandeln einige unserer Grundvorstellungen so, als seien diese überhaupt nicht fundamental, sondern vorübergehende Erscheinungen, die sich je nach unserem Standpunkt ändern. Sie schließt mit dem Wort ›folglich‹, aber der Rest der Seite ist verbrannt, und die Folgerung mit ihm. Der Gedankengang indessen ist untadelig, und die mathematischen Berechnungen durchaus gewandt, so daß ich die Folgerung selbst schreiben kann. Es scheint die Folgerung eines Wahnsinnigen zu sein. Sie ging schon von Voraussetzungen aus, die gleich wahnwitzig schienen. Handelt es sich nur um einen Ulk? Wenn nicht, welchen Platz nimmt sie dann im gesamten System der Wissenschaften der Alten ein? Was geht ihr als Vorbedingung ihres Verständnisses vorauf? Was folgt, und wie kann es nachgeprüft werden? Fragen, die ich nicht beantworten kann. Das ist nur ein Beispiel der vielen Rätsel, die in diesen Papieren verborgen liegen, die ihr so lange gehütet habt. Gedankengänge, die sich nirgends mit der empirischen Wirklichkeit berühren, sind Sache der Angelologen und Theologen, nicht der Physiker. Und dennoch beschreiben Papiere wie diese Systeme, die mit unserer Erfahrung nirgendwo in Einklang zu bringen sind. Waren diese Systeme für die Alten experimentell erreichbar? Gewisse Stellen scheinen darauf hinzudeuten. Eine Schrift bezieht sich auf die Umwandlung der Elemente – die wir erst kürzlich als theoretisch unmöglich darlegten –, und dann heißt es, ›durch Experiment nachgewiesen‹. Aber wie?
    Es wird wohl Generationen dauern, bis einige dieser Dinge errechnet und begriffen sein werden. Es ist bedauerlich, daß sie hier an diesem unzugänglichen Ort verbleiben müssen, denn es wird der vereinten Anstrengung zahlreicher Gelehrter bedürfen, ihren Sinn freizulegen. Ich bin sicher, ihr begreift, daß eure gegenwärtigen Hilfsmittel unzulänglich sind – von der ›Unzugänglichkeit‹ für den Rest der Welt ganz zu schweigen.«
    Der Abt, der hinter dem Sprecher auf dem Podest saß, fing an, finster dreinzublicken, und war auf das Schlimmste gefaßt. Thon Taddeo zog es jedoch vor, keine Vorschläge zu unterbreiten. Aber seine Anmerkungen verdeutlichten weiterhin seine Meinung, daß solche Überbleibsel in zuständigere Hände gehörten als in die der Mönche vom Albertinischen Orden des heiligen Leibowitz und daß die herrschenden Umstände geradezu lächerlich seien.
    Vielleicht bemerkte er die wachsende Unruhe im Saal, denn er wandte sich dem Gegenstand seiner unmittelbaren Untersuchungen zu, die sich mit einer gründlicheren Erforschung der Natur des Lichtes befaßten, als man sie bis jetzt betrieben hatte. Mehrere unter den Schätzen der Abtei würden sich als große Hilfe erweisen, und er hoffte, bald experimentelle Mittel und Wege zu finden, seine Theorien auf die

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