Lobgesang auf Leibowitz
und die Gewalttätigkeit, die darauf folgt, wird so lange andauern, bis das Gesellschaftsgefüge, wie es jetzt existiert, zu Schrot zermahlen sein wird und eine neue Gesellschaft entstehen wird. Das schmerzt mich; aber so und nicht anders sehe ich es.«
Die Worte legten sich als neuer Schatten über den Raum. Die Hoffnungen Dom Paulos welkten, denn diese Vorhersage sprach aus, was der Gelehrte vermutlich erwartete. Thon Taddeo wußte vom militärischen Ehrgeiz seines Herrschers. Er stand vor der Wahl, ihn zu billigen, ihn zu mißbilligen oder ihn als unpersönliche Erscheinung, die außerhalb seines Einflusses lag, zu betrachten, wie Springflut, Seuche oder Wirbelsturm.
Offensichtlich fand er sich demnach mit ihm als unvermeidlich ab – um sich ein moralisches Urteil zu ersparen. Und selbst wenn es Blut, Eisen und Tränen setzt…
Wie konnte solch ein Mann so sein eigenes Gewissen ersticken und seine Verantwortlichkeit leugnen – und das so mühelos! wütete der Abt in Gedanken.
Aber dann fielen ihm die Worte wieder ein. Denn der Herr und Gott hatte es zugelassen, daß die weisen Männer jener Tage Mittel und Wege ersannen, wodurch die Welt selbst vernichtet werden konnte…
Aber der Herr hatte ebenso zugelassen, daß sie wußten, wie sie gerettet werden könnte, und wie immer hatte er sie die Wahl selbst treffen lassen. Und vielleicht hatten sie so entschieden, wie sich jetzt Thon Taddeo entschied. Ihre Hände vor der Menge in Unschuld zu waschen. Siehe du aber zu. Damit sie selbst nicht gekreuzigt würden.
Und sie waren auf jeden Fall gekreuzigt worden. Würdelos. Schon immer und auf jeden Fall wurde jeder daran festgenagelt, um daran herabzuhängen; und solltest du herunterfallen, wird man dich…
Plötzlich herrschte Stille. Der Gelehrte hatte seinen Vortrag unterbrochen.
Der Alte blinzelte im Saal umher. Die Hälfte der Gemeinschaft starrte auf den Eingang. Zuerst konnten seine Augen nichts erkennen. »Wer ist da?« fragte er Gault flüsternd.
»Ein alter Mann mit Bart und in einem Umhang«, zischte Gault. »Er sieht aus wie – nein, der würde doch nicht…«
Dom Paulo erhob sich und ging vorn ans Podest, um die im Schatten schwach erkennbare Gestalt anzublicken. Dann rief er sie leise an. »Benjamin?«
Die Gestalt bewegte sich. Sie zog ihren Umhang fester um die dürren Schultern und humpelte langsam in den Lichtschein. Sie hielt wieder an, sprach murmelnd mit sich selbst, während sie sich im Saal umsah. Dann entdeckten ihre Augen hinter dem Pult den Gelehrten.
Gestützt auf einen krummen Stab humpelte die alte Erscheinung auf das Pult zu und ließ dabei den Blick nicht von dem Mann, der dahinter stand.
Thon Taddeo sah zunächst amüsiert, verwirrt drein; als aber niemand sich bewegte oder sprach, schien alle Farbe aus seinem Gesicht zu weichen, während die gebrechliche Erscheinung auf ihn zukam. Das Gesicht des altertümlichen Bärtigen glühte vor zuversichtlichem Ungestüm einer unwiderstehlichen Leidenschaft, die heftiger in ihm brannte als der Lebenswille, der ihn schon seit langem hätte verlassen müssen.
Er näherte sich dem Pult, blieb stehen. Seine Augen zuckten beim Anblick des erschrockenen Redners. Sein Mund bebte. Er lächelte. Zitternd streckte er eine Hand nach dem Gelehrten aus. Der Thon fuhr erregt und unter heftigem Schnauben zurück.
Der Eremit war flink. Er sprang auf das Podest, lief um das Pult und ergriff den Thon beim Arm.
»Was soll der Wahnsinn…?«
Benjamin drückte den Arm, während er dem Gelehrten erwartungsvoll in die Augen sah.
Sein Gesicht verdüsterte sich. Das Glühen verlöschte. Er ließ den Arm fallen. Ein langer, klagender Seufzer stieg aus seinen alten, trockenen Lungen auf, wie die Hoffnung schwand. Das ewig wissende Lächeln des alten Juden vom Berge kehrte in sein Gesicht zurück. Er wandte sich der Gemeinschaft zu, breitete die Arme aus und zog vielsagend die Schultern hoch.
»Nein, Er ist es noch nicht«, sagte er ihnen mürrisch und humpelte dann fort.
Danach machte man nicht mehr viel Umstände.
21
Es war in der zehnten Woche von Thon Taddeos Besuch, daß der Bote schlimme Nachrichten brachte. Das Oberhaupt der regierenden Dynastie Laredos hatte verlangt, daß die texarkanischen Truppen unverzüglich sein Reich räumen müßten. Der König starb dieselbe Nacht noch an Gift, und die Staaten Laredo und Texarkana erklärten, daß sie sich im Kriegszustand befänden. Es würde ein kurzlebiger Krieg werden. Man könne mit Sicherheit
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