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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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wahr?« fragte er nach langem Schweigen.
    Der Abt nickte.
    »Und Ihr habt uns erlaubt zu bleiben?«
    »Wir haben keine Geheimnisse zu verstecken. Eure Begleiter mögen solch eine Untersuchung anstellen, wenn sie wollen. Ich würde mir nicht anmaßen, sie zu fragen, wozu sie die Informationen brauchen. Die Vermutung des Dichters ist natürlich das reinste Hirngespinst.«
    »Natürlich«, sagte der Thon schwach und blickte seinen Gastgeber nicht an.
    »Selbstverständlich hat Euer Fürst keine Absichten, diese Gegend hier anzugreifen, wie der Dichter meinte.«
    »Gewiß nicht.«
    »Selbst wenn dem so wäre, bin ich sicher, daß er über die Weisheit verfügt – oder zumindest über weise Ratgeber, die ihn bestimmen – zu begreifen, daß die Bedeutung unserer Abtei als Aufbewahrungsort antiken Wissens um vieles größer ist als ihre Bedeutung als Zitadelle.«
    In der Stimme des Priesters fiel dem Thon der Ton der Bitte, der Unterton des Ersuchens um Hilfe auf, und er schien darüber in tiefes Nachdenken versunken, während er langsam im Essen herumstocherte und eine Zeitlang schwieg.
    »Wir werden uns über diese Angelegenheit noch einmal unterhalten, bevor ich zum Kollegium zurückkehre«, versprach er leise.
     
     
    Ein Schatten war auf das Festmahl gefallen, aber er wurde nach dem Essen während des gemeinsamen Singens auf dem Hof verscheucht und war zur Stunde, da der Gelehrte im großen Saal vortragen sollte, gänzlich verdrängt. Die Verlegenheit schien behoben, und die Gruppe hatte in oberflächlicher Herzlichkeit wieder zusammengefunden.
    Dom Paulo führte den Thon zum Vortragspult. Gault und der Sekretär des Thon folgten ihnen und traten zu ihnen auf das Podest. Nach der Vorstellung des Thon durch den Abt rauschte herzhafter Beifall auf. Die gespannte Stille, die ihm folgte, erinnerte an die Ruhe eines Gerichtssaales, der auf ein Urteil wartet. Der Gelehrte war kein begnadeter Redner; das Urteil jedoch stellte die klösterliche Schar zufrieden.
    »Ich bin sehr verblüfft über das gewesen, was wir hier gefunden haben«, berichtete er ihnen. »Vor einigen Wochen hätte ich nie geglaubt, habe ich nicht geglaubt, daß Schriftstücke, wie ihr sie in euren Memorabilien habt, bis heute noch den Zusammenbruch der letzten mächtigen Kultur überlebt haben könnten. Es ist noch immer schwer zu glauben, aber die Tatsachen zwingen uns, uns die Hypothese zu eigen zu machen, daß diese Schriftstücke authentisch sind. Ihr Überleben hier ist schon unglaubwürdig genug, aber für mich ist die Tatsache eigentlich noch fantastischer, daß sie in diesem Jahrhundert bis jetzt nicht beachtet worden sind. In letzter Zeit hat es Männer genug gegeben – und nicht nur mich –, die fähig gewesen wären, ihre mögliche Bedeutung gut zu begreifen. Was hätte Thon Kaschier bei Lebzeiten nicht alles mit ihnen anstellen können – selbst vor siebzig Jahren!«
    Lächeln überglänzte das Meer von Mönchsgesichtern beim Anhören einer so günstigen Stellungnahme zu den Denkwürdigkeiten, von jemandem, der so begabt war wie der Thon. Paulo fragte sich, wie ihnen im Ton des Sprechers der schwache Anklang von Verstimmung entgehen konnte – oder war es Mißtrauen? »Hätte ich dieses Quellenmaterial vor zehn Jahren schon gekannt«, sagte er gerade, »so würden einige meiner Arbeiten zur Optik nicht nötig gewesen sein.« Aha! dachte der Abt, das ist es also! Zumindest teilweise. Er kommt dahinter, daß einige seiner Entdeckungen lediglich Wiederentdeckungen sind, und das läßt ein ungutes Gefühl zurück. Aber er wird doch bestimmt wissen, daß er zu seinen Lebzeiten niemals mehr sein kann als ein Wiederbeleber vergessener Werke: wie glanzvoll auch immer, er kann nur tun, was andere vor ihm schon getan haben. Und es würde unvermeidlich so bleiben, bis die Welt wieder so hoch entwickelt wäre, wie sie es vor der Feuerflut gewesen war.
    Nichtsdestoweniger war deutlich, daß Thon Taddeo beeindruckt war.
    »Mein Aufenthalt hier ist zeitlich begrenzt«, fuhr er fort. »Soweit ich gesehen habe, werden zwanzig Sachverständige vermutlich mehrere Jahrzehnte benötigen, um das Durchsieben der Memorabilien nach verständlichen Hinweisen zu einem Ende zu führen. Die Wissenschaft der Physik schreitet gewöhnlich durch induktive Beweisführung voran, die durch Experimente nachgeprüft wird. Aber hier handelt es sich um ein Unterfangen der Deduktion. Wir müssen versuchen, mit Hilfe von einigen wenigen verstreuten Stücken allgemeiner

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