Lobgesang auf Leibowitz
schließlich zum Menschen entfaltete. Hat man diese Hypothese in Erwägung gezogen?«
Der Thon lächelte herablassend, obgleich er die Anregung nicht direkt als kindisch brandmarkte. »Ich fürchte, man hat dies nicht getan, aber ich werde nachsehen«, sagte er in einem Ton, der merken ließ, daß er es nicht tun würde.
»Ich danke Euch!« sagte der Mönch und setzte sich sanft nieder.
»Doch das vielleicht gewagteste Unternehmen von allen«, fuhr der Weise fort, »wird von meinem Freund Thon Esser Shon betrieben. Es handelt sich um einen Versuch, lebende Substanz zu erzeugen. Thon Esser hofft, lebendes Protoplasma schaffen zu können und dabei nur sechs Grundbestandteile zu verwenden. Diese Arbeit könnte dazu führen, daß – bitte? Ihr wollt etwas fragen?«
In der dritten Reihe hatte sich ein Mönch erhoben und verneigte sich in Richtung des Vortragenden. Der Abt beugte sich vor, um ihn sich anzusehen, und erkannte entsetzt, daß es Bruder Armbruster, der Bibliothekar, war.
»Würdet Ihr einem alten Mann eine Gefälligkeit erweisen?« krächzte der Mönch, der seine Worte schwerfällig und eintönig hervorstieß. »Dieser Thon Esser Shon – der sich auf nur sechs Grundbestandteile beschränkt – ist sehr interessant. Ich frage mich, gestattet ihm das, beide Hände zu benutzen?«
»Wie? Ich…« Der Thon schwieg und runzelte die Stirn.
»Und darf ich weiterfragen«, schleppte sich Armbrusters heisere Stimme langweilig weiter, »ob dieses bemerkenswerte Kunststück im Sitzen, Stehen oder am Boden in ausgestreckter Stellung ausgeführt werden soll? Oder vielleicht zu Pferde, unter Trompetenschall?«
Die Novizen kicherten hörbar. Der Abt kam rasch auf die Beine.
»Du bist gewarnt worden, Bruder Armbruster. Du bleibst vom gemeinsamen Tisch ausgeschlossen, bis du dich entschuldigt hast. Du kannst in der Marienkapelle warten.«
Der Bibliothekar verbeugte sich wieder und schlich geräuschlos aus dem Saal, in demütiger Haltung, aber mit Triumph in den Augen. Der Abt murmelte sich entschuldigend mit dem Thon. Der Blick des Thon war plötzlich frostig.
»Als Zusammenfassung nun«, sagte er, »eine knappe Andeutung dessen, was die Welt sich meiner Meinung nach von der geistigen Umwälzung erwarten kann, die gerade beginnt.« Mit blinzelnden Augen schaute er umher, und seine Rede ließ den Allerweltston, wurde zu inbrünstigem Strömen.
»Die Unwissenheit hat wie ein König über uns geherrscht. Seit dem Ende der Oberherrschaft des Menschen sitzt sie unangefochten auf dem Thron der Menschheit. Ihre Herrschaft währt seit Hunderten von Jahren. Ihre Berechtigung zur Herrschaft wird jetzt als rechtmäßig angesehen. Weise vergangener Zeiten haben sie bestätigt. Sie taten nichts, um sie ihres Sitzes zu berauben.
Morgen wird ein neuer Fürst herrschen. Männer des Geistes, Männer der Wissenschaft werden um seinen Thron versammelt stehen, und das Weltall wird beginnen, seine Macht zu kennen. Sein Name ist Wahrheit. Seine Herrschaft soll die Welt umfassen. Die Macht des Menschen über die Welt soll erneuert werden. In einem Jahrhundert werden Menschen wieder in mechanischen Vögeln durch die Luft fliegen. Metallne Wagen werden Straßen entlangschießen, die aus vom Mensch geschaffenem Stein gebaut sind. Gebäude werden sich dreißig Stockwerke hoch erheben, Schiffe werden in die Tiefe tauchen, Maschinen wird es geben, die sämtliche Arbeiten ausführen.
Und auf welche Weise wird all das vor sich gehen?« Er hielt inne, senkte dann seine Stimme. »Auf die gleiche Weise, wie sich alle Veränderung ereignet, fürchte ich. Und ich bin traurig, daß dem so ist. Es wird mit Hilfe der Gewalt und des Umsturzes geschehen, mit Feuer und Schwert; denn keine Veränderung dieser Welt ereignet sich im stillen.« Er blickte umher, denn aus der Gemeinschaft erhob sich leises Murmeln.
»So wird es sein. Unser Wille ist es nicht.«
»Aber warum?«
»Die Unwissenheit ist Königin. Ihre Abdankung würde vielen zum Nachteil gereichen. Mit Hilfe ihrer dunklen Herrschaft bereichern sich viele. Sie sind ihre Höflinge, und in ihrem Namen betrügen und herrschen sie, bereichern sie sich und verewigen ihre Macht. Selbst die Bildung fürchten sie, denn das geschriebene Wort ist ein weiteres Mittel der Verständigung, das ihre Feinde dazu bringen könnte, sich zu vereinigen. Ihre Waffen sind scharf geschliffen, und sie wissen sie mit Meisterschaft zu führen. Sie werden der Welt den Kampf aufzwingen, wenn ihre Interessen bedroht sind,
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