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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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Dichters auf das Pult des Abts. »Er wußte, daß ich es hatte, aber ich habe ihm das immer abgestritten. Und seitdem hatten wir unseren Spaß mit ihm, der soweit führte, daß wir das Gerücht in Umlauf setzten, daß das Auge in Wirklichkeit der längst verloren geglaubte Augapfel des Bayring-Götzenbildes war und dem Museum zurückgegeben werden müßte. Nach einiger Zeit geriet er ganz außer sich. Natürlich hatte ich vor, es ihm zurückzugeben, bevor wir nach Hause reisten. Glaubt Ihr, er wird nach unserer Abreise zurückkehren?«
    »Ich bezweifle es«, sagte der Abt und schauerte beim Anblick des Auges leicht zusammen. »Aber wenn Ihr wollt, hebe ich es für ihn auf. Obwohl genauso wahrscheinlich ist, daß er Texarkana auftaucht und es dort sucht. Er behauptet, es sei ein zauberkräftiger Talisman.«
    »Wie das?«
    Dom Paulo lächelte. »Er sagt, daß er viel besser sehen könne, wenn er es trägt.«
    »Was für ein Unsinn!« Der Thon schwieg. Offenbar immer bereit, auch noch so wunderlichen Bemerkungen zumindest einen Augenblick der Beachtung zu schenken, fügte er hinzu: »So ein Unsinn – es sei denn, daß das Füllen der leeren Augenhöhle irgendwie die Muskeln in beiden Augenhöhlen beeinflußt. Hat er das gemeint?«
    »Er schwört eben, er könne ohne es nicht so gut sehen wie mit ihm. Er behauptet, daß er es unbedingt braucht, um die ›wahre Bedeutung‹ hinter allem zu erkennen – obwohl es ihm gräßliches Schädelweh macht, wenn er es trägt. Aber man weiß ja nie, ob der Dichter über etwas Tatsächliches, Eingebildetes oder Sinnbildliches spricht. Ist das Eingebildete nur geistvoll genug, so bezweifle ich, daß der Dichter einen Unterschied zwischen Eingebildetem und Tatsächlichem zugeben würde.«
    Der Thon lächelte spöttisch: »Gestern schrie er vor meiner Tür, daß ich es dringender bräuchte als er. Das scheint darauf hinzudeuten, daß er es ansieht, als wäre es für sich allein genommen schon ein mächtiger Fetisch – bei jedem wirksam. Ich frage mich, wie?«
    »Er sagte, daß Ihr es bräuchtet? Ah, haha!«
    »Was findet Ihr daran lustig?«
    »Verzeihung. Er wollte Euch vermutlich damit beleidigen. Ich versuche lieber nicht, Euch diese Beleidigung des Dichters auseinanderzusetzen. Das könnte mir den Anschein geben, als stimmte ich ihr bei.«
    »Ganz und gar nicht. Ich bin neugierig.«
    Der Abt schaute hinüber zum Bild des heiligen Leibowitz in der Ecke des Zimmers. »Der Dichter nahm den Augapfel ständig zum Anlaß von Scherzen«, erklärte er. »Wenn er eine Entscheidung treffen, oder über etwas nachdenken oder etwas Wesentliches sprechen wollte, dann setzte er das Auge in die Höhle. Er nahm es heraus, wenn er etwas erblickte, das ihm nicht gefiel, wenn er vorgab, etwas nicht zu bemerken oder wenn er sich dumm stellen wollte. Wenn er es trug, veränderte sich sein Benehmen. Die Brüder fingen an, es das ›Gewissen des Dichters‹ zu nennen, und er machte den Spaß mit. Er hielt kleine Vorträge über die Vorteile eines abnehmbaren Gewissens und führte es auch vor. Er stellte sich, als würde er sich in einer schrecklichen Zwangslage befinden – gewöhnlich irgend etwas Belangloses –, wie eine Zwangslage, hervorgerufen durch eine Flasche Wein.
    Er trug das Auge und streichelte die Weinflasche, leckte sich die Lippen, atmete heftig, stöhnte und riß dann seine Hand weg. Schließlich pflegte es dann wieder über ihn zu kommen. Er packte die Flasche, goß ungefähr einen Fingerhut voll in einen Becher und verschlang ihn für einen Moment mit den Augen. Aber dann meldete sich das Gewissen, und er schleuderte den Becher quer durchs Zimmer. Bald schielte er wieder lüstern nach der Flasche, fing wieder an zu stöhnen und zu sabbern, setzte sich aber auf jeden Fall gegen den Zwang zur Wehr…«, der Abt mußte unfreiwillig auflachen, »… gräßlich, das mitansehen zu müssen. Wenn er sich schließlich erschöpft hatte, zog er das Auge heraus. Kaum war das Auge entfernt, entspannte er sich. Die Zwangslage war nicht länger zwingend. Dann nahm er hochmütig und dreist die Flasche an sich, sah sich um und lachte. ›Ich werde es so oder so tun‹, sagte er. Wenn dann jeder von ihm erwartete, daß er sie austrinken würde, setzte er ein seliges Lächeln auf und goß sich die ganze Flasche über den Kopf. Der Vorteil eines abnehmbaren Gewissens, wißt Ihr.«
    »Und er glaubt, daß ich es dringender brauche als er.«
    Dom Paulo zog die Schultern hoch: »Er ist nur ein

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