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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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anflehen.
    Zweitens: allgemeine Instruktionen zur Zivilverteidigung im Falle eines Schlags aus dem Weltraum oder eines Raketenangriff-Alarms liegen zur Verfügung auf dem Tisch beim Eingang. Jeder nimmt eins. Wenn ihr’s gelesen habt, lest es noch mal.
    Drittens: für den Fall, daß ein Angriff-Alarm ertönt, melden sich die folgenden Brüder sofort im Hof der alten Abtei zum Empfang besonderer Instruktionen. Wenn keine Warnung erfolgt, melden sich diese Brüder trotzdem am gleichen Ort am Tag nach morgen früh, und zwar direkt nach der Matutin und den Laudes. Die Namen: Bruder Joshua, Bruder Christopher, Agustin, James, Samuel…«
     
    Die Mönche hörten in gespannter Stille zu, sie verrieten keinerlei Gemütsbewegung. Es waren insgesamt siebenundzwanzig Namen, doch es waren keine Novizen darunter. Einige waren bedeutende Gelehrte, aber es gab auch einen Pförtner und einen Koch unter ihnen. Bei oberflächlichem Hinhören hätte man annehmen können, daß die Namen willkürlich aus einer Schachtel gezogen worden seien. Aber als Vater Lehy mit der Verlesung der Liste fertig war, warfen manche der Mönche einander seltsame Blicke zu.
    »Diese Gruppe wird sich morgen nach der Prim zu einer gründlichen Untersuchung im Krankenzimmer melden«, schloß der Prior. Er wandte sich um und blickte fragend auf Dom Zerchi. »Domne?«
    »Ja, eins noch«, sagte der Abt, während er auf das Lesepult zuging. »Laßt uns nicht glauben, Brüder, daß es Krieg geben wird. Erinnern wir uns, daß Luzifer bei uns gewesen ist – diesmal – in nahezu zwei Jahrhunderten. Und nur zweimal gefallen ist in Größenordnungen unter einer Megatonne. Wir alle wissen, was geschehen könnte, wenn es Krieg gibt. Wir leiden noch immer an den genetischen Schwären vom letztenmal, als der Mensch versuchte, sich auszuradieren. Damals, zu Zeiten des Sankt Leibowitz, wußten sie vielleicht nicht, was geschehen würde. Oder vielleicht wußten sie’s und konnten es nicht ganz glauben, ehe sie’s nicht ausprobiert hatten – wie ein Kind, das weiß, was eine geladene Pistole zu tun imstande ist, das aber noch nie abgedrückt hat. Damals hatten sie noch keine Milliarde von Leichen gesehen. Sie hatten nicht die Totgeburten gesehen, die Ungeheuer, die Entmenschten, die Blinden. Sie hatten noch nicht den Wahnsinn und den Mord gesehen und das Verlöschen der Vernunft. Und dann taten sie es, und dann sahen sie.
    Heute, in dieser Zeit, wissen die Fürsten, die Präsidenten, die Regierungen, heute wissen sie es – mit tödlicher Gewißheit. Sie können es ablesen an den Kindern, die sie zeugen und in die Asyle für Deformierte schicken. Sie wissen, und darum haben sie Frieden gehalten. Nicht den Frieden des Herrn, sicher, aber immerhin Frieden bis vor kurzem – und es gab nur zwei kriegsähnliche Zwischenfälle in ebenfalls nur zwei Jahrhunderten. Und nun haben sie die bittere Gewißheit. Meine Söhne, sie können es nicht wieder tun. Nur eine Rasse von Wahnsinnigen könnte es wieder tun…« Er brach ab. Jemand lächelte. Es war nur ein dünnes Lächeln, doch in der See von todernsten Gesichtern stach es hervor wie eine ertrunkene Fliege in einer Sahneschüssel. Dom Zerchi runzelte die Brauen. Der alte Mann lächelte weiterhin schief und dünn. Er saß am »Armentisch« mit drei anderen durchziehenden Tramps: ein alter Kunde mit einem buschigen Bart, der am Kinn gelb gefärbt war. Als Jacke trug er einen Rupfensack mit Armlöchern. Er fuhr fort, Zerchi anzulächeln. Er sah alt aus wie ein vom Regen verwaschener Stein, er wäre ein passender Kandidat für die Fußwaschung am Gründonnerstag gewesen. Zerchi fragte sich, ob er etwa aufstehen und seinen Gastgebern etwas verkünden wollte - oder vielleicht das Shofarhorn gegen sie blasen würde? –, doch das war nur eine Illusion, die durch das Lächeln hervorgerufen wurde. Dom Zerchi schob rasch das Gefühl beiseite, daß er den alten Mann schon einmal irgendwo gesehen habe. Er beendete seine Ausführungen.
    Auf dem Weg zu seinem Platz zurück blieb er stehen. Der Bettler nickte seinem Gastgeber freundlich zu. Zerchi trat zu ihm.
    »Wer seid Ihr, wenn ich fragen darf? Hab ich Euch schon einmal irgendwo gesehen?«
     

     
    »Was?«
    »Latzar shemi«, wiederholte der Bettler.
    »Ich kann nicht ganz…«
    »Nennt mich also Lazarus«, sagte der alte Mann und gluckste.
    Dom Zerchi schüttelte den Kopf und ging weiter. Lazarus?
    Es gab in der Gegend ein altes Weibergeschwätz, das besagte, daß –, aber was war das

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