Lobgesang auf Leibowitz
Treffen der Außenminister und der militärischen Führer auf Guam bereit erklärt. Es wird erwartet, daß der Feind dieses Angebot akzeptieren wird.«
»Zehn Tage«, stöhnte der Abt. »Das läßt uns nicht genügend Zeit.«
»Asiatische Sender bestehen jedoch immer noch auf der Nachricht, daß die vor kurzem erfolgte thermonukleare Katastrophe in Itu Wan, die einige achtzigtausend Opfer zur Folge hatte, auf eine verirrte Rakete der Atlantischen Konföderation zurückzuführen sei und daß folglich die Zerstörung der Hauptstadt Texarkana in gewisser Weise ein Vergeltungsschlag…«
Der Abt schaltete das Radio aus. »Wo ist die Wahrheit?« fragte er ruhig. »Was kann man davon schon glauben? Oder kommt es überhaupt darauf an? Wenn Massenmord mit Massenmord beantwortet wird, Vergewaltigung mit Vergewaltigung, Haß mit Haß, dann hat es wenig Sinn, danach zu fragen, wessen Beil blutiger ist. Böses auf Böses auf Böses gehäuft. Gibt es eine Rechtfertigung für unsere ›Polizeiaktion‹ im Raum? Wie können wir das wissen? Sicher gibt es keine Rechtfertigung für das, was die andern taten – oder doch? Wir wissen nur, was dieses Ding da quasselt, und dieses Ding ist befangen. Das asiatische Radio muß sagen, was der dortigen Regierung am wenigsten mißfällt, und unseres muß sagen, was unserem feinen patriotisch gesinnten Mob am wenigsten mißfällt, und das ist, rein zufällig, das gleiche, was die Regierung sowieso will, daß sie sagen. Wo also ist der Unterschied? Guter Gott, es müssen eine halbe Million Tote sein, wenn sie Texarkana richtig getroffen haben. Mir ist danach zumute, als müßte ich Worte sagen, die ich noch nie in meinem Leben überhaupt auch nur gehört habe. Krötenscheiße. Hexeneiter. Gangrän der Seele. Unsterblicher Hirnbrand. Verstehst du mich, Bruder? Und Christus hat dieselbe verfaulte Luft geatmet wie wir; wie demütig ist doch die Majestät unseres Allmächtigen Gottes! Was für ein unendlicher Humor – für Ihn, einer von uns zu werden! Ein jiddischer Schlemiel, der König des Alls, von Unsresgleichen ans Kreuz geschlagen. Man sagt, Luzifer sei gestürzt worden, weil er sich geweigert habe, das eingeborene Wort anzubeten; der Üble muß gänzlich humorlos sein! Gott Jakobs, Gott sogar von Kain! Warum tun sie es wieder und wieder!?«
»Verzeih mir, ich fantasiere«, fügte er hinzu, weniger an Joshua gerichtet als an die hölzerne Statue des heiligen Leibowitz, die in einer Ecke der Studierstube stand. Er hielt in seinem Aufundabwandern inne, um das Gesicht der Statue zu betrachten. Das Bildwerk war alt, sehr alt. Ein früherer Herr des Klosters hatte es in einen Vorratskeller verbannt, wo es in Staub und Trübnis gestanden hatte, während die Trockenfäule das Holz zernagte, den Frühlingswuchs wegfraß und den Sommerwuchs in Ruhe ließ, so das das Gesicht nun tief gefurcht erschien. Der Heilige trug ein leicht satirisches Lächeln im Gesicht. Zerchi hatte die Statue wegen dieses Lächelns dem Vergessen entrissen.
»Hast du den alten Bettler gestern abend im Refektorium gesehen?« fragte der Abt zusammenhanglos und schaute dabei immer noch neugierig die Statue an.
»Ich habe ihn nicht bemerkt, Domne. Warum?«
»Laß nur. Ich glaube, ich bilde mir da nur was ein.« Er betastete den Scheiterhaufen, auf dem der Heilige stand. Da stehen wir jetzt alle, dachte er. Auf dem fetten Feuerholz vergangner Sünden. Und einige davon sind meine Sünden. Meine, Adams, Herodes’, Judas’, Hannegans, meine. Jedermanns. Es führt immer dazu, daß der Koloß Staat, irgendwie, sich mit dem Mantel der Göttlichkeit umgibt und vom Zorn des Himmels niedergestreckt wird. Warum? Wir haben es laut genug geschrien – wie die Menschen müssen die Nationen Gott gehorchen. Cäsar sollte Gottes Polizist sein, nicht Sein allmächtiger Nachfolger und auch nicht Sein Erbe. Allen Völkern, allen Zeiten: ›Wer immer eine Rasse oder einen Staat oder eine besondere Staatsform oder die Verwalter der Macht erhöht… Wer immer diese Begriffe über ihren gewohnten Wert bemißt und sie auf eine Ebene der Idolatrie erhebt und sie vergöttlicht, der verkehrt und pervertiert eine von Gott geplante und geschaffene Weltordnung…‹ Wo stammte das nun bloß her? Pius XL, dachte er ungewiß, vor achtzehn Jahrhunderten. Doch wenn Cäsar die Macht besaß, die Welt zu zerstören, war er dann nicht schon göttlich? Schlichtweg durch die Zustimmung des Volkes – des gleichen Mobs, der geschrien hatte: »Non habemus regem
Weitere Kostenlose Bücher