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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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durch das Tor gelangt, aber es war klar, daß sie nicht mehr weiterkonnte. Das Kind hielt sich an einer Krücke fest und stierte auf den Verkehr auf der Autobahn.
    Zerchi öffnete die Wagentür und kletterte langsam hinaus. Das Mädchen schaute zu ihm auf, wendete jedoch rasch ihren Blick wieder ab. »Was treiben Sie denn, Sie gehören doch ins Bett, Kind«, flüsterte er. »Sie dürfen doch nicht aufstehen mit der Hüfte. Was haben Sie sich denn gedacht, wohin Sie gehen wollen?«
    Sie verlagerte ihr Gewicht, und ihr Gesicht zuckte vor Schmerz. »In die Stadt«, sagte sie. »Ich muß hin. Es ist sehr wichtig.«
    »Nicht so wichtig, als daß es nicht jemand für Sie erledigen könnte. Ich werde Bruder…«
    »Nein, Vater, nein! Niemand kann das für mich erledigen. Ich muß selber in die Stadt.«
    Sie log. Er war sicher, daß sie log. »Na gut«, sagte er. »Ich nehme Sie mit in die Stadt. Ich fahre sowieso hin…«
    »Nein! Ich werde gehen! Ich bin…« Sie machte einen Schritt und stöhnte. Zerchi fing sie auf, bevor sie hinfallen konnte.
    »Sie könnten nicht mal in die Stadt laufen, wenn Sankt Christophorus Ihre Krücken hielte, mein Kind. Kommen Sie, lassen Sie mich Ihnen zurück ins Bett helfen.«
    »Ich muß in die Stadt, sag ich Ihnen!« schrie sie zornig.
    Das Kind erschrak über den Zorn seiner Mutter und begann eintönig zu wimmern. Die Frau versuchte, seine Angst zu besänftigen, gab aber dann nach: »Gut, Vater, nehmen Sie mich mit in die Stadt?«
    »Sie sollten wirklich nicht gehen!«
    »Ich sag Ihnen doch, ich muß!«
    »Na schön. Kommen Sie, ich helfe Ihnen hinein… das Kind… und jetzt Sie…«
    Das Kind kreischte hysterisch, als der Priester es neben seine Mutter hob. Es klammerte sich heftig an sie. Dann begann es wieder monoton zu wimmern. Wegen der weiten und feuchten Bandagen, die das Kind trug, war es nicht leicht, das Geschlecht des Kindes zu erraten, doch Abt Zerchi nahm an, daß es ein Mädchen sei.
    Er wählte wieder. Der Wagen wartete auf eine Lücke im Verkehr, wischte dann hinauf auf die Autobahn und bog auf die Mittelgeschwindigkeitsspur. Zwei Minuten später, als sie sich dem Grünstern-Lager näherten, wählte Zerchi die langsame Spur.
    Fünf Mönche paradierten vor dem Zeltbereich auf und ab, eine ernste Postenlinie in Kapuzen. Sie marschierten in Prozession unter dem Erlösungslager-Schild auf und ab, aber sie gaben acht, dabei auf der öffentlichen Straße zu bleiben. Auf ihren frisch gemalten Schildern stand zu lesen:
     
    LASST ALLE HOFFNUNG FAHREN
    IHR
    DIE IHR HIER EINTRETET
     
    Zerchi hatte ursprünglich vorgehabt, anzuhalten und mit den Mönchen zu sprechen, doch nun, mit dem Mädchen im Wagen neben ihm, begnügte er sich damit, sie zu beobachten, wie sie vorbeiglitten. Mit ihren Kutten, den Kapuzen und ihrer begräbnishaften Prozession bewirkten die Novizen tatsächlich den von ihm gewünschten Effekt. Zwar war es zweifelhaft, ob sich der Grünstern in genügendem Maße belästigt fühlen würde, um das Lager weiter weg vom Kloster aufzuschlagen, besonders da ein kleiner Störtrupp, wie man ihm in die Abtei berichtet hatte, vor einiger Zeit erschienen war und Beleidigungen und Kieselsteine über die Parademönche ausgeschüttet hatte. Neben der Autobahn parkten zwei Polizeiwagen, mehrere Polizisten standen mit ausdruckslosen Gesichtern daneben. Da die Störmannschaft ziemlich plötzlich aufgetaucht war, und da die Polizeiautos ebenso plötzlich kurz darauf angekommen waren, gerade rechtzeitig, um zu konstatieren, daß einer aus dem Störtrupp eines der Protestschilder zu packen versuchte, und schließlich und endlich, da ein Grünstern-Beamter daraufhin ärgerlich davonschoß, um einen Gerichtsbefehl zu erwirken, schloß der Abt, daß der Störtrupp ebenso sorgfältig auf die Bühne gestellt war wie seine Protestmärschler, um dem Offizier des Grünsterns zu seinem Schreiben zu verhelfen. Er würde es wahrscheinlich bekommen, aber Abt Zerchi hatte vor, die Novizen zu lassen, wo sie sich derzeit befanden, solange der gerichtliche Abzugsbefehl noch nicht vorgezeigt worden war. Er warf einen Blick auf die Statue, die Arbeiter des Lagers neben dem Tor errichtet hatten. Er zuckte zurück. Er erkannte die Statue als eines jener zusammengesetzten menschlichen Urbilder, die aus psychologischen Massentests abgeleitet werden, bei denen man den Testpersonen Fotografien von Unbekannten gab und ihnen Fragen stellte wie: »Wen möchten Sie am liebsten treffen?« und »Welche Person

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