Lobgesang auf Leibowitz
Sohn, hinaus mit dir!«
Francis fürchtete sich, als er das erstemal an die Tür Aguerras klopfte, aber er sah schnell, daß seine Furcht unbegründet war. Der Protonotar war ein zuvorkommender und gewandter älterer Mann, der eifrigen Anteil an dem Leben des kleinen Mönches zu nehmen schien.
Nach einigen Minuten einleitender Höflichkeitsfloskeln ging er den nicht ganz geheuren Gegenstand an: »Nun, um zu deiner Begegnung mit der Person zu kommen, die der selige Gründer des…«
»Aber ich habe nie gesagt, daß er unser seliger Leibo…«
»Nein, natürlich nicht, mein Sohn. Natürlich nicht. Nun habe ich hier einen Bericht über das Ereignis – ausschließlich aus Quellen zusammengestellt, die es sicher nur gerüchteweise kennen –, ich will, daß du ihn liest und ihn mir dann entweder bestätigst oder ihn richtigstellst.« Er schwieg und zog eine Schriftrolle aus einem Kasten. Er übergab sie Bruder Francis. »Diese Fassung beruht auf den Erzählungen von Reisenden«, fügte er hinzu, »nur du kannst aus erster Hand beschreiben, was geschah; deshalb wünsche ich, daß du sie höchst gewissenhaft durchsiehst.«
»Gewiß, Monsignore. Aber das, was geschah, ist wirklich recht einfach…«
»Lies! Schau es dir an! Dann wollen wir darüber sprechen, hm?«
Die Dicke der Rolle zeigte deutlich, daß der Bericht auf Grund von Gerüchten nicht gerade »recht einfach« war. Bruder Francis las mit wachsender Besorgnis. Die Besorgnis nahm bald das volle Maß des Schreckens an.
»Du siehst bleich aus, mein Sohn«, sagte der Prozeßführer. »Ist irgend etwas nicht in Ordnung?«
»Monsignore, dies hier – es hat sich überhaupt nicht so zugetragen!«
»Nicht? Aber auf Umwegen kannst nur du der Urheber des Berichts gewesen sein. Wie könnte es anders sein? Du warst doch der einzige Augenzeuge?«
Bruder Francis schloß die Augen und rieb sich die Stirn. Er hatte seinen Mitnovizen nichts als die schlichte Wahrheit erzählt. Seine Gefährten hatten miteinander getuschelt. Novizen hatten Reisenden die Geschichte weitererzählt. Reisende hatten sie Reisenden wiederholt. Und schließlich – das! Kein Wunder, daß Abt Arkos jedes Gespräch untersagt hatte. Wenn er nur den Pilger nie erwähnt hätte!
»Er sprach nur ein paar Worte mit mir. Ich sah ihn nur das eine Mal. Er war mit einem Stock hinter mir her, fragte mich nach dem Weg zur Abtei und machte Zeichen auf den Stein, wo ich die Gruft fand. Dann sah ich ihn nie wieder.«
»Kein Heiligenschein?«
»Nein, Herr.«
»Kein himmlischer Chorgesang?«
»Nein!«
»Und was war mit dem Teppich von Rosen, der dort, wo er ging und stand, hervorbrach?«
»Nein, nein! Nichts dergleichen, Monsignore!« sagte keuchend der Mönch.
»Er schrieb seinen Namen nicht auf den Stein?«
»So wahr Gott mein Richter ist, Herr, machte er nur jene zwei Zeichen. Ich wußte nicht, was sie bedeuten sollten.«
»Ah, nun gut«, seufzte der Prozeßführer. »Erzählungen von Reisenden sind immer übertrieben. Aber ich frage mich, wie alles anfing. Wie wäre es, wenn du mir erzähltest, wie es sich wirklich zugetragen hat?«
Bruder Francis erzählte es ihm ganz knapp. Aguerra schien wehmütig. Nach gedankenvollem Schweigen nahm er die dicke Rolle, gab ihr einen leichten Abschiedsschlag und ließ sie in den Papierkorb fallen. »Fahr dahin, Wunder Nummer sieben!« brummte er.
Francis bat eilig um Verzeihung.
Der Prozeßführer schob die Bitte beiseite. »Mach dir keine Gedanken. Wir haben eigentlich genug Beweismaterial. Es gibt einige unmittelbare Heilungen, einige Fälle augenblicklicher Genesung von Krankheiten auf Grund der Fürbitte des Seligen. Sie sind einfach, schlüssig und durch Dokumente wohlbelegt. Sie sind genau das, worauf sich Heiligsprechungsverfahren gründen können. Selbstverständlich fehlt ihnen das Poetische dieser Geschichte, aber ich bin fast froh, daß sie unzutreffend ist, froh um deinetwillen. Der Advocatus Diaboli hätte dir die Hölle heißgemacht, das weißt du.«
»Ich habe nie irgend etwas gesagt, das – «
»Ich versteh schon, ich verstehe! Es fing alles mit dem Bunker an. Übrigens, wir haben ihn heute wieder geöffnet.«
Francis fing an zu strahlen. »Habt Ihr noch – noch mehr vom heiligen Leibowitz gefunden?«
»Bitte, seligen Leibowitz«, berichtigte der Monsignore. »Nein, bis jetzt noch nicht. Wir öffneten die innere Kammer. Wir brauchten verteufelt lange, bis wir sie aufgebrochen hatten. Wir fanden drin fünfzehn Skelette und viele aufregende
Weitere Kostenlose Bücher