Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
Vom Netzwerk:
für eine Bewandtnis habe, waren längst versiegt. Das jetzige Noviziat war nicht mehr dasselbe, das es zur Zeit von Bruder Francis gewesen war. Die jüngsten des neuen Haufens von Burschen hatten nie von dem Vorfall gehört.
    Bruder Francis hatte den Vorfall immerhin mit sieben Fastenvigilien unter den Wölfen bezahlen müssen, und ihm kam die Angelegenheit eigentlich nie ganz geheuer vor. Wann immer er auf sie zu sprechen kam, träumte er dieselbe Nacht noch von Wölfen und vom Abt. Im Traum warf Arkos den Wölfen stets Fleisch vor, Francis’ eigenes Fleisch.
    Der Mönch stellte jedoch fest, daß er sein Vorhaben fortführen konnte, ohne behindert zu werden, abgesehen von Bruder Jeris, der nicht damit aufhörte, ihn aufzuziehen. Francis begann nun mit der eigentlichen Illuminierung der Lammhaut. Die Schwierigkeit der Schnörkelverzierung, die mühselige Feinarbeit der Vergoldung würden sie zur Beschäftigung von Jahren machen, war doch die Zeit für sein eigenes Vorhaben kurz bemessen. Doch im dunklen Strom von Jahrhunderten, in dem sich nichts zu verändern schien, war ein Leben selbst für den Menschen, der es lebte, nur ein kurzer Wirbel. Es bestand aus der langweiligen Wiederholung von Tagen und Jahreszeiten, aus Schmerzen und Qualen; schließlich die Letzte Ölung und ein Augenblick der Finsternis am Ende, oder vielmehr am Anfang. Dann nämlich würde die zitternde, winzige Seele, die die Mühseligkeiten erlitten hatte, sie gut oder schlecht erduldet hatte, sich an lichtumflossenem Ort wiederfinden, sich eingesogen finden in den brennenden Blick unendlich mitfühlender Augen, wenn sie vor dem Alleinzigen stand. Dann würde der König sprechen »Komm«, oder der König würde sagen »Geh«; nur auf diesen einen Augenblick hatten die Mühseligkeiten der Jahre hingezielt. In einem Zeitalter, wie Francis es erlebte, würde anders zu glauben schwer gewesen sein.
    Bruder Sarl vollendete die fünfte Seite seiner mathematischen Ergänzungen, brach über dem Pult zusammen und starb ein paar Stunden später. Wennschon! Seine Aufzeichnungen waren unversehrt. Nach ein oder zwei Jahrhunderten würde jemand auf sie stoßen und sie wichtig genug finden, um die Arbeit vielleicht fortzusetzen. Inzwischen stiegen Gebete für die Seele Bruder Sarls zum Himmel. Da war Bruder Fingo mit seiner Schnitzerei. Er war der Zimmerwerkstätte vor ein, zwei Jahren wieder zugeteilt worden und hatte die Erlaubnis, gelegentlich an seinem halbfertigen Abbild des Märtyrers herumzumeißeln und zu -kratzen. Wie Francis hatte Fingo nur dann und wann eine Stunde frei, um sein Vorhaben weiterzuführen. Das Schnitzwerk ging seiner Vollendung so langsam entgegen, daß der Fortschritt nur auffiel, wenn man es in Abständen von mehreren Monaten ansah. Francis sah es zu häufig, um ein Fortschreiten zu bemerken. Er fühlte sich von Fingos lässiger Überschwenglichkeit angezogen, obwohl ihm bewußt war, daß Fingo sich diese umgängliche Art zugelegt hatte, um seine Häßlichkeit auszugleichen. Gern verbrachte Francis die wenigen Minuten der Muße, die er finden konnte, um Fingo bei der Arbeit zuzusehen.
    Die Zimmerwerkstatt war von den Düften der Fichten-, Zedern-und Rottannenspäne geschwängert – und von menschlichem Schweiß. Es war für die Abtei nicht einfach, Holz zu bekommen. Außer Feigenbäumen und einigen Pappeln in unmittelbarer Nähe der Wasserstelle wuchsen weit und breit keine Bäume. Das nächste Gehölz, aus dem sich Nutzholz schlagen ließ, war drei Tagesreisen entfernt. Die Holzsammler waren oft gleich eine Woche unterwegs, bevor sie mit einigen Eselladungen Ästen zurückkehrten, aus denen sich Pflöcke, Sprossen und gelegentlich ein Stuhlbein machen ließen. Manchmal schleppten sie ein oder zwei Stämme hinter sich her, um einen verfaulten Balken ersetzen zu können. Mit einem derart begrenzten Nachschub an Holz mußten die Zimmerleute wohl oder übel auch Schnitzer und Bildhauer sein.
    Wenn Fingo schnitzte, setzte sich Francis manchmal auf eine Bank in der Ecke der Werkstatt, beobachtete ihn und zeichnete. Er versuchte, sich ein Bild von Einzelheiten des Schnitzwerks zu machen, die bis jetzt erst roh aus dem Holz herausgehauen waren. Die groben Züge des Gesichts waren unter der Maske von Splittern und Meißelspuren schon zu erkennen. Francis versuchte in seinen Skizzen die Gesichtszüge vorherzubestimmen, bevor sie aus der Maserung hervortraten. Fingo warf einen Blick auf die Skizzen und lachte. Doch wie die Arbeit

Weitere Kostenlose Bücher