Lobgesang auf Leibowitz
reiste ein apostolischer Protonotar mit seinem geistlichen Gefolge auf einer Eselskarawane von New Rome zur Abtei. Er stellte sich als Monsignore Malfreddo Aguerra vor, der Prozeßführer beim Kanonisationsverfahren des seligen Leibowitz. Mit ihm waren einige Dominikaner gekommen. Er war angereist, um die Wiedereröffnung des Bunkers und die Erforschung des ABGEDICHTETER BEREICH zu beobachten. Außerdem wollte er Beweisstücke prüfen, die von der Abtei vorgelegt werden könnten, ob sie mit dem Fall in Zusammenhang stünden. Dazu gehörten auch, zur Bestürzung des Abts, Berichte über eine angebliche Erscheinung des Seligen, die Reisenden zufolge einem gewissen Francis Gerard von Utah, AOL, zuteil geworden war.
Der Advocatus Dei wurde von den Mönchen freundlich empfangen und in den Räumen für durchreisende Prälaten untergebracht. Dort wurde ihm von sechs jungen Novizen, denen man eingeschärft hatte, jeder nur erdenklichen Laune nachzukommen, üppig aufgewartet, obwohl sich herausstellte, daß Monsignore Aguerra kaum ein launenhafter Mann genannt werden konnte, sehr zur Enttäuschung der künftigen Küchen-und Kellermeister. Die köstlichsten Weine wurden aufgetischt; Aguerra nippte höflich an ihnen, zog jedoch Milch vor. Bruder Jäger fing mit der Schlinge rundliche Wachteln und Chaparralhühner für den Tisch des Gastes. Aber nachdem sich Monsignore Aguerra nach den Freßgewohnheiten der Chaparralhühner erkundigt hatte (»Maisgefüttert, Bruder?« – »Nein, sie fressen Schlangenfleisch, Monsignore.«), schien er die Mehlsuppe der Mönche im Refektorium vorzuziehen. Hätte er sich allerdings nach der Herkunft der undefinierbaren Fleischstückchen im Eintopf erkundigt, würde er den wirklich saftigen Chaparralhühnern den Vorzug gegeben haben. Monsignore Aguerra bat sich aus, daß das Leben in der Abtei seinen gewohnten Gang nähme. Aber nichtsdestotrotz wurde der Advocatus Dei jeden Abend in der Freizeit durch Musikanten und eine Gruppe Spaßmacher unterhalten, bis er anfing zu glauben, daß der »gewohnte Gang des Lebens« in der Abtei wohl außergewöhnlich lustig war, verglichen mit anderen klösterlichen Gemeinschaften.
Am dritten Tag des Besuchs von Aguerra ließ der Abt Bruder Francis kommen. Die Beziehung zwischen Mönch und Vorsteher war förmlich, aber freundschaftlich, wenn auch nicht vertraut gewesen, seit der Abt dem Novizen gestattet hatte, die Gelübde abzulegen, und Bruder Francis zitterte nicht einmal mehr, als er an die Tür der Studierstube klopfte und fragte: »Ihr habt mich rufen lassen, Ehrwürdiger Vater?«
»Ja«, sagte Arkos und fragte mit unbewegter Stimme: »Sag mir, hast du dir jemals über den Tod Gedanken gemacht?«
»Häufig, Herr Abt.«
»Und betest du auch zum heiligen Joseph um einen Tod ohne Schrecken?«
»Hm – oft, Ehrwürdiger Vater.«
»Dann gehe ich doch recht in der Annahme, daß du nicht plötzlich hinweggerafft werden möchtest? Daß du keine Lust hast, dein Gedärm als Saiten auf eine Geige gespannt zu haben? Den Schweinen zum Fraß vorgeworfen zu werden? Deine Gebeine in ungeweihtem Boden begraben zu haben? Was?«
»N-n-nein, Magister meus.«
»Das dachte ich mir; überleg dir also gut, was du Monsignore Aguerra sagen wirst.«
»Ich?«
»Ja, du.« Arkos rieb sich das Kinn und schien sich in unangenehmen Vorstellungen zu verlieren. »Ich sehe es zu deutlich vor mir. Der Fall Leibowitz wird auf Eis gelegt. Der arme Bruder wird von einem fallenden Dachziegel zu Boden geschmettert. Da liegt er und jammert nach der Absolution. Bedenke, mitten unter uns! Und wir stehen da, schauen bedauernd auf ihn nieder – Priester in unsrer Mitte –, sehen ihn sogar ohne einen letzten Segen auf sein Haupt abkratzen. Der Hölle verfallen. Ungesegnet. Ohne Absolution. Vor unser aller Augen. Wirklich schade, was?«
»Herr?« stieß Francis heiser hervor.
»Versuch’s nur nicht, mir in die Schuhe zu schieben. Ich werde zu eifrig damit beschäftigt sein, deine Brüder davon abzuhalten, ihre Lust zu befriedigen, dich totzutrampeln.«
»Wann?«
»Nun, hoffentlich nie! Weil du dir gut überlegen wirst, nicht wahr, was du dem Monsignore erzählen wirst. Andernfalls könnte ich gute Lust haben, dich von ihnen zertrampeln zu lassen.«
»Ja, aber…«
»Der Prozeßführer wünscht dich augenblicklich zu sprechen. Zügle bitte deine Fantasie und sei bestimmt in dem, was du sagst. Sage bitte nicht ›ich glaube…‹!«
»Ich werde es nicht tun, glaube ich.«
»Hinaus, mein
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