Lobgesang auf Leibowitz
so bedarf es nicht viel Aufmunterung für den Staat von Chihuahua, Laredo von Süden her anzugreifen. Da besteht überhaupt eine alte Feindschaft. Dann kann Hannegan natürlich siegreich bis Rio Laredo marschieren. Mit Laredo in der Hand kann er beide, Denver und die Mississippirepublik, in die Zange nehmen, ohne einen Dolchstoß in seinen Rücken aus dem Süden befürchten zu müssen.«
»Glaubt Ihr, daß Hannegan das schaffen wird, Herr?«
Marcus Apollo wollte antworten, schloß dann aber langsam seinen Mund. Er ging zum Fenster hinüber und starrte auf die sonnenbeschienene Stadt. Eine ausgedehnte, meist regellos aus dem Schutt eines anderen Zeitalters erbaute Stadt. Eine Stadt ohne planmäßig angelegte Straßenzüge. Sie war langsam über alten Ruinen emporgewachsen, so wie vielleicht eine weitere Stadt über den Ruinen dieser hier aufwachsen würde.
»Ich weiß nicht«, sagte er leise. »Heutzutage fällt es einem schwer, einen Mann zu verurteilen, der diesen zerfleischten Kontinent einen will. Selbst mit solchen Mitteln wie – doch nein, das meine ich nicht.« Er seufzte schwer. »Auf jeden Fall liegen unsere Interessen nicht in der Politik. Wir müssen New Rome rechtzeitig vor dem, was da vielleicht auf uns zukommt, warnen, weil die Kirche davon betroffen sein wird, was immer auch geschehen mag. Und rechtzeitig gewarnt kann es uns gelingen, uns aus dem Streit herauszuhalten.«
»Glaubt Ihr das wirklich?«
»Natürlich nicht!« sagte der Priester leise.
Thon Taddeo Pfardentrott langte in Marcus Apollos Arbeitszimmer zur frühestmöglichen Stunde an, die schon dem Abend zugerechnet werden konnte, und sein Benehmen hatte sich seit dem Empfang beachtlich geändert. Er vermochte herzlich zu lächeln, aber in seinem Sprechen schwang ungeduldige Erregung mit. Der Bursche ist hinter etwas her, dachte sich Marcus, das er unbedingt haben will; er ist sogar geneigt, zuvorkommend zu sein, nur um es zu kriegen. Der Thon war vielleicht von der Liste alter Schriftstücke, die die Mönche der Leibowitzabtei geliefert hatten, tiefer beeindruckt, als er zugeben wollte. Der Nuntius hatte sich auf eine Wortschlacht vorbereitet, aber die augenscheinliche Aufregung des Gelehrten machte diesen zu leicht zum Opfer, und Apollo ließ von seiner Bereitschaft für ein Wortgefecht ab.
»Heute nachmittag fand eine Versammlung des Lehrkörpers des Kollegiums statt«, sagte Thon Taddeo, sobald man sich gesetzt hatte. »Wir sprachen über Bruder Kornhoers Brief und die Aufstellung von Schriftstücken.« Er hielt inne, als sei er sich nicht sicher, wie die Sache anzupacken sei. Graues Dämmerlicht vom weiten Bogenfenster zu seiner Linken ließ sein Gesicht bleich und angespannt erscheinen. Seine grauen Augen blickten eindringlich auf den Priester, als wollten sie ihn prüfen und abwägen.
»Ich nehme an, man war skeptisch.«
Die grauen Augen blickten einen Augenblick zum Boden, dann rasch wieder empor. »Soll ich die Höflichkeit wahren?«
»Nur frei heraus!« sagte Apollo unter leisem Lachen.
»Man war skeptisch. Ungläubig wäre das noch präzisere Wort. Nach meiner Auffassung sind diese Papiere, sollten sie überhaupt existieren, wahrscheinlich Fälschungen, die ein paar Jahrhunderte zurückliegen. Ich bezweifle, daß die gegenwärtigen Mönche des Klosters versuchen, sich irgendeinen Spaß zu leisten. Selbstverständlich halten sie die Urkunden für hieb-und stichfest.«
»Wie reizend von Euch, ihnen die Absolution zu erteilen«, sagte Apollo ärgerlich.
»Ich erbot mich, höflich zu bleiben. Soll ich?«
»Nein. Fahrt fort.«
Der Thon glitt aus seinem Stuhl und ging hinüber, um sich in das Fenster zu setzen. Er starrte in die verlöschenden gelben Wolkenfetzen im Westen und schlug sanft mit der Hand auf die Fensterbank, während er sprach. »Die Papiere. Was immer wir von ihnen halten, der Gedanke, daß solche Schriftstücke noch unbeschädigt vorhanden sein könnten, daß noch eine winzige Möglichkeit ihrer Existenz bestände – nun – der Gedanke ist so aufrüttelnd, daß wir sie unverzüglich und unbedingt untersuchen müssen.«
»Das geht in Ordnung«, sagte Apollo leicht belustigt. »Man hat Euch eingeladen. Aber sagt mir, was findet Ihr an den Schriftstücken so aufrüttelnd?«
Der Gelehrte warf ihm einen raschen Blick zu. »Seid Ihr mit meinem Werk vertraut?«
Der Monsignore zögerte. Das Werk war ihm vertraut, aber diese Vertrautheit einzugestehen könnte ihn zwingen, das Wissen zuzugeben, daß Thon Taddeos
Weitere Kostenlose Bücher