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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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darum«, murmelte der Abt. Er stieg ab und eilte hinter dem alten Juden her. »Benjamin, Benjamin, ich wollte kommen, aber ich hatte keine Zeit.«
    Der Einsiedler blieb stehen. »Na schön, Paulo, wenn du schon mal hier bist…«
    Plötzlich lachten sie los und fielen sich in die Arme.
    »Schon gut, alter Streithammel!« sagte der Einsiedler.
    »Ich ein Streithammel?«
    »Na ja, ich bin vermutlich auch etwas reizbar geworden. Das letzte Jahrhundert ist mir ziemlich auf die Nerven gegangen.«
    »Ich habe gehört, daß du mit Steinen nach den Novizen geworfen hast, die hier herum in der Wüste ihre Fastenzeit verbringen. Kann das stimmen?« Er blickte den Einsiedler gespielt vorwurfsvoll an.
    »Nur mit kleinen Kieseln!«
    »Schändlicher alter Kerl!«
    »Na-na-na, Paulo! Einer von denen hat mich einmal für einen meiner entfernten Verwandten gehalten, namens Leibowitz. Er glaubte, ich wäre gesandt worden, ihm eine Botschaft zu überbringen – oder ein anderer von euch Lumpen hatte sich das ausgedacht. Ich will nicht, daß das noch mal passiert, und so werfe ich manchmal mit Kieseln nach ihnen. Ha! Ich möchte nicht noch mal für diesen Verwandten gehalten werden, da er sich von der Verwandtschaft mit mir losgesagt hat.«
    Der Priester sah verwirrt drein. »Hielt dich für wen? Den heiligen Leibowitz? Also Benjamin, du gehst zu weit!«
    Benjamin wiederholte es in spöttischem Singsang: »Hat mich einmal für einen meiner entfernten Verwandten gehalten, namens Leibowitz, und so werfe ich mit Kieseln nach ihnen.«
    Dom Paulo war nun gänzlich aus der Fassung gebracht. »Der heilige Leibowitz ist jetzt seit zwölf Jahrhunderten tot. Wie konntest…« Er unterbrach sich und blickte den alten Eremiten nachdenklich an. »Also Benjamin, fang nicht schon wieder an, mich mit diesem Märchen zum Narren zu halten. Du hast keine zwölf Jahrhunderte gelebt…«
    »Unsinn!« fiel ihm der alte Jude ins Wort. »Ich habe nicht gesagt, daß es vor zwölf Jahrhunderten geschah. Es ist erst sechs Jahrhunderte her. Lange nachdem dein Heiliger gestorben war. Deshalb war alles ja so unsinnig. Freilich, damals waren eure Novizen frömmer und auch leichtgläubiger. Ich glaube, Francis hieß er. Armer Kerl. Ich habe ihm später sein Grab geschaufelt. Hab denen in New Rome erzählt, wo sie nach ihm graben sollten. Auf diese Weise habt ihr seine Knochen zurückerhalten.«
    Der Abt stierte mit offenem Mund auf den Alten, während sie mit Pony und Ziege durch das Gestrüpp auf die Wasserstelle zugingen. Francis? überlegte er. Francis. Das könnte vielleicht der Ehrwürdige Francis Gerard von Utah sein? Dem ein Pilger einst die Stelle des alten Bunkers im Dorf gezeigt hatte, so hieß es jedenfalls. Nur war das gewesen, bevor es noch das Dorf gab. Ja, und vor ungefähr sechs Jahrhunderten; und jetzt behauptet dieser alte Knacker, er sei dieser Pilger gewesen? Er wunderte sich manchmal, wo Benjamin genügend Kenntnisse über das Kloster aufgeschnappt haben mochte, um solche Märchen zu erfinden. Vielleicht vom Dichter.
    »Das war selbstverständlich während meiner früheren Laufbahn«, fuhr der alte Jude fort, »und so eine Verwechslung war vielleicht verständlich.«
    »Frühere Laufbahn?«
    »Ewig wandern.«
    »Wie kannst du erwarten, daß ich dir solchen Unsinn glaube?«
    »Hmm – hnnn! Der Dichter schenkt mir Glauben.«
    »Zweifelsohne! Der Dichter würde bestimmt nie glauben, daß der Ehrwürdige Francis einen Heiligen getroffen hat. Das wäre ja Aberglauben! Der Dichter würde eher glauben, daß Francis dich traf – vor sechshundert Jahren. Eine ganz natürliche Erklärung, was?«
    Benjamin kicherte mit spitzer Miene vor sich hin. Paulo sah ihm zu, wie er einen undichten Rindenbecher in den Brunnen hinabließ, ihn in seinen Wassersack entleerte und ihn wieder hinabließ. Das Wasser war trüb und wimmelte von krabbelnd Ungewissem, genau wie der Strom der Erinnerung des alten Juden. Konnte man sich überhaupt auf seine Erinnerung verlassen? Hält er uns nur zum Narren? fragte sich der Priester. Abgesehen von seinem Wahn, älter als Methusalem zu sein, schien der alte Benjamin Eleasar auf seine eigene ironische Art vernünftig genug zu sein.
    »Durstig?« fragte der Einsiedler und hielt ihm den Becher entgegen. Der Abt unterdrückte seinen Schauder und nahm den Becher entgegen, um ihn nicht zu beleidigen. Er trank die trübe Brühe auf einen Zug aus.
    »Du bist nicht sehr wählerisch, was?« sagte Benjamin und sah ihn tadelnd an. »Ich selbst

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