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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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sich erleichtert auf einen Haufen Felle sinken. »Aber ich möchte lieber nicht über Thon Taddeo reden.«
    »Ach, der ist es.«
    »Du hast von Thon Taddeo gehört? Sag mir, wie kommt es, daß es dir immer gelingt, alles und jedes zu wissen, ohne dich je von diesem Hügel zu bewegen?«
    »Man hat Ohren, man hat Augen«, sagte rätselhaft der Einsiedler.
    »Sag mir, was hältst du von ihm?«
    »Ich hab ihn nie gesehen. Ich vermute, er wird einige Aufregung verursachen. Wie immer, wenn eine Geburt bevorsteht. Aber Geburtswehen sind qualvoll.«
    »Geburtswehen? Glaubst du wirklich, eine neue Renaissance steht vor der Tür, wie manche sagen?«
    »Hmm – hnnn.«
    »Hör auf, so hämisch-rätselhaft zu grinsen, alter Jude, und sag mir lieber deine Meinung. Du hast ganz bestimmt eine. Wie immer. Warum ist es so schwer, dein Vertrauen zu gewinnen? Wir sind doch Freunde?«
    »In gewisser Hinsicht schon. Aber wir haben unsere Meinungsverschiedenheiten, du und ich.«
    »Was sollen unsere Meinungsverschiedenheiten mit Thon Taddeo zu tun haben und einer Renaissance, die uns beiden willkommen wäre? Thon Taddeo ist weltlicher Gelehrter und unseren Meinungsverschiedenheiten eher entrückt.«
    Benjamin zog vielsagend die Schultern in die Höhe. »Meinungsverschiedenheiten, weltlicher Gelehrter«, echote er und ließ dabei die Worte wie störende Apfelkerne aus dem Mund fallen. »Ich wurde von gewissen Leuten zu verschiedenen Zeiten ›weltlicher Gelehrter‹ genannt, und manchmal bin ich dafür in Öl gesotten, gesteinigt und verbrannt worden.«
    »Wie, du hast mir nie…« Der Priester schwieg, blickte ihn stirnrunzelnd an. Wieder dieser Wahn. Benjamin sah ihn argwöhnisch unter frostig gewordenem Lächeln an. jetzt schaut er mich an, dachte der Abt, als ob ich einer von jenen wäre – wie unbestimmt auch immer »jene« waren, die ihn in die Einsamkeit hier getrieben hatten. Gesotten, gesteinigt und verbrannt? Oder stand dieses »Ich« für »Wir«, wie in »Ich, mein Volk«?
    »Benjamin, ich bin’s, Paulo. Torquemada ist tot. Ich bin vor einigen siebzig Jahren geboren worden und werde ziemlich bald sterben. Ich habe dich alten Mann in mein Herz geschlossen, und ich hoffe, daß, wenn du mich ansiehst, du niemand anderen in mir erblickst als Paulo von Pecos.«
    Einen Augenblick lang schwankte Benjamin. Die Augen wurden ihm feucht. »Ich – vergesse das manchmal…«
    »Und manchmal vergißt du, daß Benjamin bloß Benjamin und nicht das gesamte Israel ist.«
    »Nein, nie!« fauchte der Einsiedler, und seine Augen loderten wieder. »Zweiunddreißg Jahrhunderte lang habe ich…« Er brach ab und preßte die Lippen zusammen.
    »Warum?« flüsterte der Abt fast erschrocken. »Warum nimmst du die Last eines Volkes und seiner Vergangenheit allein auf dich?«
    Die Augen des Einsiedlers blitzten warnend auf. Er unterdrückte jedoch einen kehligen Laut, senkte den Kopf und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. »Du fischst im trüben!«
    »Verzeih!«
    »Diese Last – andere haben sie mir aufgedrängt.« Langsam hob er seinen Blick. »Hätte ich mich weigern sollen, sie auf mich zu nehmen?«
    Der Priester holte tief Luft. Eine Zeitlang war kein Geräusch in der Hütte zu hören als das Rauschen des Windes. Durch diese Verrücktheit hindurch kann man den Hauch Gottes spüren, dachte Dom Paulo. Die jüdische Gemeinde war in jenen Tagen dünn über die Erde verstreut. Vielleicht hatte Benjamin seine Kinder überlebt oder war irgendwie zum Ausgestoßenen geworden. Ein alter Israelit wie er mochte jahrelang wandern, ohne auf Angehörige seines Volkes zu stoßen. Vielleicht hatte er in seiner Einsamkeit die stille Überzeugung gewonnen, er wäre der letzte, der allerletzte, der einzige. Und so der letzte, hörte er auf Benjamin zu sein und wurde Israel. Fünftausend Jahre Geschichte hatten sich in sein Herz gesenkt, waren nicht mehr fern, sondern ihm so zugehörig wie die Geschichte seines eigenen Lebens. Sein »Ich« war dem kaiserlichen »Wir« entgegengesetzt.
    Aber auch ich bin Teil einer Einheit, dachte Dom Paulo, Mitglied einer Ordenskongregation, Teil einer Kontinuität. Auch die Meinen sind von der Welt verachtet worden. Trotzdem ist der Unterschied zwischen »Ich« und »Volk« für mich deutlich. Du, alter Freund, hast ihn irgendwie verwischt. Eine Last hat man dir aufgedrängt? Du hast sie auf dich genommen? Wie schwer mag sie sein? Wie schwer würde sie mir werden? Er nahm sie auf seine Schultern und versuchte sie hochzustemmen,

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