Lobgesang auf Leibowitz
um ihr Gewicht zu wägen: Ich bin christlicher Mönch und Priester, und ich bin deshalb Gott Rechenschaft schuldig für das Handeln und Tun jedes Mönchs und jedes Priesters, der seit Christus auf dieser Erde gelebt und gewirkt hat, so, wie für meine eigenen Handlungen.
Ihn schauderte, und er fing an den Kopf zu schütteln.
Nein, nein. Diese Verantwortlichkeit zermalmte einem das Rückgrat. Außer Christus allein war sie jedem Menschen als Last zu schwer. Wegen eines religiösen Glaubens verflucht zu werden war Last genug. Die Flüche zu ertragen war möglich; dann aber – sich mit der Unsinnigkeit abzufinden, die hinter den Flüchen stand, der Unsinnigkeit, die dem einzelnen nicht nur eigenes zur Last legte, sondern ihm die Taten aller seiner Volks-und Glaubensgenossen vorhielt, als wären es seine eigenen? Sich auch damit abzufinden? So wie Benjamin das zu tun versuchte?
Nein, nein.
Und dennoch, Dom Paulos eigener Glaube sagte ihm, daß die Last wirklich war, daß es sie seit Adams Zeiten gab – und daß sie vom Satan aufgebürdet worden war, der da voll Hohn der Menschheit sein »Mensch!« entgegenrief. »Mensch!« – das zog jeden zur Rechenschaft für die Taten aller, die von Anbeginn begangen worden waren. Die Last wurde jeder Generation auferlegt, bevor sie den mütterlichen Leib verließ, die Last der Schuld an der Erbsünde. Der Narr mag sie bestreiten. Der gleiche Narr war mit großer Freude mit der zweiten Erbschaft einverstanden, dem Erbe angestammten Ruhmes und Sieges, früherer Tugend und Würde, das ihn als »tapfer und edel auf Grund der Geburt« auswies, ohne den Einspruch zu erheben, er selbst habe nichts dazu getan, diese Erbschaft zu erwerben, abgesehen davon, als Angehöriger des Menschengeschlechts geboren worden zu sein. Der Einspruch blieb der Erblast vorbehalten, die ihn »schuldbeladen und verworfen auf Grund der Geburt« nannte. Er gab sich Mühe, diesem Schuldspruch seine Ohren fest zu verschließen. Die Last wog freilich schwer. Sein eigner Glaube sagte ihm, daß ihm die Last abgenommen worden war von dem einen, dessen Bild über den Altären am Kreuz hing. Trotzdem gab es noch Nachwirkungen der Last. Diese Nachwirkungen waren, mit dem vollen Gewicht des ursprünglichen Fluches verglichen, ein leichteres Joch. Er konnte sich nicht bereden, dem alten Mann das zu sagen, weil der Alte sowieso wußte, daß er daran glaubte. Benjamin sah einem anderen entgegen. Und der letzte alte Hebräer saß allein auf einem Berg und tat für Israel Buße, wartete auf einen Messias und wartete, wartete…
»Gott segne dich tapferen Narren, ja, dich weisen Narren.«
»Hmmm – hnnn! Weiser Narr!« machte ihn der Einsiedler nach. »Aber du hast dich immer schon einseitig auf Paradoxe, auf Rätselhaftigkeit festgelegt, Paulo, oder? Wenn ein Gegenstand nicht in Gegensatz zu sich selbst stehen kann, interessiert er dich gar nicht, was? Du mußt einfach Dreiheit in der Einheit, Leben im Tod, Weisheit in der Torheit sehen. Sonst würde es zu sehr nach gesundem Menschenverstand klingen!«
»Verantwortlichkeit wahrzunehmen ist Weisheit, Benjamin. Zu glauben, du könntest sie allein tragen – ist Torheit.«
»Kein Wahnsinn?«
»Vielleicht ein wenig. Dann aber mutiger Wahnsinn.«
»Gut, dann vertraue ich dir ein kleines Geheimnis an. Ich habe von Anfang an gewußt, daß ich die Last nicht tragen kann, seit er mich wieder eingesetzt hat. Aber reden wir noch von der gleichen Sache?«
Der Priester zog die Schultern hoch. »Du nennst es wahrscheinlich die Last des Erwähltseins. Ich nenne es lieber die Last der Erbsünde. In beiden Fällen ist die daraus folgende Verantwortlichkeit die gleiche, obwohl wir verschiedene ihrer Formen erkennen dürften und sprachlich stark darin voneinander abweichen, was wir in Worte gefaßt von einem Gegenstand halten, der sich sprachlich nicht fassen läßt – weil er etwas ist, was allein in der tiefsten Verborgenheit des Herzens zur Sprache kommt.«
Benjamin lachte vor sich hin. »Nun, ich bin froh, daß du das endlich zugibst, auch wenn alles, was du sagst, nur heißen soll, daß du eigentlich nie etwas gesagt hast.«
»Hör auf mit dem Gewäsch, du Verworfener!«
»Aber du warst es doch, der die Worte immer so wortreich einsetzte in ausgeklügelter Verteidigung deiner Dreieinigkeit, obwohl Er solche Verteidigung nie nötig hatte, bevor ihr Ihn von uns als Einheit erhalten habt, he?«
Der Priester wurde rot, sagte jedoch nichts.
»Na also!« schrie Benjamin,
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