Lobgesang
Vogelmist.
Vor nicht einmal einer Stunde hatte er seinen Turban abgelegt und seine Ärmel aufgerollt, und nun trat er zurück und schnalzte beim Anblick der Vögel in ihren frisch gereinigten Käfigen mit der Zunge. Hinter ihm schnarchte einer der Zigeunerspäher auf dem klapprigen Bett, während der andere draußen Wache hielt.
Die Übrigen waren vor fast einer Woche nach Kendrick aufgebrochen und hatten Rudolfo mit zwei Spähern zurückgelassen, um den Vogelposten zu bemannen und auf Nachricht von Petronus zu warten – oder demjenigen, der den Vogel empfangen hatte.
Es war eine Antwort eingetroffen, das gewiss, doch Rudolfo war von ihrem Inhalt nicht begeistert gewesen.
Ich werde nach Euch schicken , hieß es in der kurzen Botschaft, aber die Handschrift war unbekannt, und es fand sich keine Geheimschrift darin, die Rudolfo lesen konnte. Nach allem, was er wusste, konnte sie von sonst jemandem stammen, und in diesem Augenblick konnte dieser Jemand schon unterwegs sein, um ihnen zu Leibe zu rücken.
Rudolfo wusste, was Gregoric von dieser Entwicklung gehalten hätte, wäre er noch am Leben gewesen. Dennoch folgte er seinem Instinkt und zwang sich dazu, geduldig zu warten, zwang sich, so viel Vertrauen in das zu setzen, was Petronus hier aufgebaut hatte, dass er ihm sogar sein Leben und letztendlich auch das Leben seines Sohnes anvertraute.
In den ersten paar Tagen war er auf und ab marschiert und hatte Strategien ersonnen, wenn er sich nicht gerade um die Vögel kümmerte, die kamen und gingen. Aber danach war er unruhig geworden und hatte sich auf jede Aufgabe gestürzt, die er in Petronus’ Bootshaus nur finden konnte.
Nun grinste er über die sauberen Käfige und den Dreck, mit
dem er bedeckt war, und er fragte sich, wie Vogelmist so viel Freude bereiten konnte.
Vielleicht, dachte er, während er seine Hände und Unterarme in dem bereitstehenden Eimer abschrubbte, erfreute es ihn, weil die sauberen Käfige ein Stück Chaos darstellten, das er in Ordnung gebracht hatte.
Ein leises, kurzes Pfeifen drang von draußen an seine Ohren, und mit diesem Geräusch fielen alle Gedankenspiele von ihm ab. Rudolfos rechte Hand näherte sich instinktiv dem Beutel mit den Pulvern, den er um den Hals trug, während seine Linke nach dem Spähermesser griff.
Der andere Zigeunerspäher war schon auf den Beinen, klatschte sich ganze Hände voll weißes Pulver auf Schultern und Füße, dann hob er die geöffnete Hand an den Mund. Als die Magifizienten in seine Haut eindrangen, verblasste er zu einem Schatten und öffnete die Tür.
Rudolfo kauerte sich hin und wartete. Seine Männer kannten sich mit ihrer Arbeit besser aus als jeder andere, und er wusste, dass er ihnen die größte Ehre erwies, indem er sie diese Arbeit selbst verrichten ließ. Trotzdem zog er vorsichtig das Messer aus seiner Scheide.
Eine Minute verging.
Eine Brise wehte durch den Schuppen.
Rudolfo spürte ein sanftes Tippen auf seinem Arm. Etwas kommt über das Wasser.
Rudolfo runzelte die Stirn, fand die Schulter des Mannes und drückte seine Finger hinein. Etwas?
Die Finger des Spähers zögerten. Bewegt sich wie ein Boot. Aber magifiziert.
Magifiziert? Rudolfo konnte sich vorstellen, dass es möglich war, ein Schiff zu magifizieren, schließlich rieben die Zigeuner ihre Klingen mit Ölen ein, um sie scharf und unsichtbar zu machen. Weshalb sollte man das nicht auch mit einem Schiff
machen können? Er schob die Spekulationen beiseite und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Zigeunerspäher. Geht draußen in Stellung , tippte er.
Dann magifizierte er sich, zog seine Messer und folgte ihm.
Im morgendlichen Nieselregen suchte sich Rudolfo einen Weg über den Schneematsch und gab darauf Acht, in die Abdrücke zu treten, die bereits vorhanden waren. Er ging hinter einer Kiefer in Deckung und spähte mit zusammengekniffenen Augen auf die Bucht hinaus.
Er konnte es sehen: Auf dem Wasser waren die Umrisse von etwas, das nicht da war. Ein verwischter Schatten im Regen, der sich groß wie ein Schiff auf der schweren See bewegte. Rudolfo konnte hören, wie das Wasser ihn umströmte.
Er wartete und hörte, wie ein Langboot – ebenso magifiziert – herabgelassen wurde. Er hörte Ruder über das Wasser gleiten und entfernte sich von der Kiefer, um sich einen Weg auf den Bootssteg zu suchen.
Es war unmöglich zu erkennen, wie viele Männer sich in dem Langboot befinden mochten, und er hatte auch keine Möglichkeit, ihre Absichten zu ergründen,
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