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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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zugleich, als seine Haut rosarot geworden war und Jakob sein Lachen und seine Lunge entdeckt hatte; und selbst jetzt, als sie ihn mit Winters kichern hörte, war das Wunder abermals neu für sie.
    Und auch Petronus. Sie hatte ihn sterben und dann von den Toten zurückkehren sehen.
    Sie hörte, wie sich jemand räusperte, und blickte erschrocken auf.
    Ihr Vater stand an der Zeltklappe. Er vermied es, ihr in die Augen zu sehen, und wandte den Blick ab. »Ich weiß, dass ich in
jeder Hinsicht deine Missgunst verdient habe«, sagte er zu ihr, »aber ich erbitte dich um eine Audienz, Tochter.«
    Als er ins Licht trat, konnte sie die Narben auf seinem Gesicht sehen – Wunden, die beinahe verheilt und trotzdem von zornigem Rot waren. In ihren wenigen Stunden mit Rudolfo hatte sie erfahren, was geschehen war, dann war er wieder gegangen, um zumindest irgendeinen Rest von Bundschaft unter den anderen zu retten. Nun runzelte Jin Li Tam die Stirn und versuchte, dem Zorn auf ihren Vater freien Lauf zu lassen; es gelang ihr nicht.
    Er hat seine Abrechnung bekommen. Und sie wusste, dass auch sie eines Tages die ihre bekommen würde, denn diejenige, die sie um das Leben ihres Sohnes angefleht hatte, würde es nicht vergessen. »Komm herein«, sagte sie, »und schau dir deinen Enkel an.«
    Winters nickte, bevor Jin Li Tam etwas sagen konnte, und brachte ihr Jakob zurück. »Ich werde über das nachdenken, was wir besprochen haben«, sagte das Mädchen.
    Jin Li Tam lächelte. »Tut das. Ihr wisst, dass Ihr uns willkommen wärt. Ihr hättet dort eine Heimat.«
    Winters erwiderte ihr Lächeln und neigte den Kopf. Nachdem sie gegangen war, wies Jin Li Tam ihrem Vater einen Stuhl. »Setz dich. Du kannst Jakob nehmen.«
    Sie sah, wie ihr Vater zusammenzuckte, als sie den Namen sagte. Gut , dachte sie. Es war keine Bitterkeit, die ihr diesen Gedanken eingab, sondern die Erkenntnis, dass er den Preis begriff, der bezahlt worden war. Jakob war der Name von Rudolfos Vater gewesen – eines Mannes, den ihr eigener Vater getötet hatte, indem er einen der Söhne der Tam als Waffe benutzt hatte.
    Vlad Li Tam nahm das Kind in die Arme. Er hielt es ein paar Minuten schweigend, ehe er zu ihr aufblickte. »Dein Mann hat mir einst gesagt, dass er, wenn er je Vater werden sollte, seine Kinder nicht wie Spielfiguren benutzen würde.« Er holte tief
Luft. »Das war derselbe Tag, an dem er schwor, mich zu töten für das, was ich seiner Familie angetan habe, wenn wir uns noch einmal begegnen sollten.«
    »Dafür verdienst du den Tod.« Jin sprach die Worte, ohne nachzudenken, mit sachlicher Stimme.
    Ihr Vater überraschte sie mit einem Nicken. »In der Tat. Aber als wir uns das nächste Mal begegnet sind, hat er mich nicht getötet. Er hat mich gerettet, mich und das, was von meiner Familie übrig war … von unserer Familie.« Er blickte sie an, und seine Augen waren plötzlich hart. »Ich weiß, dass du dir wie eine Figur in einem meiner Damenkrieg-Spiele vorgekommen bist, und so war es auch. Dafür habe ich dich großgezogen, dich für diese Aufgabe geformt. Und nun weiß ich, dass mein Vater dasselbe mit mir getan hat. Dass ich eine Festung in seinem Damenkrieg-Spiel war, mit Registern versehen wie eure Metallmänner, um einen ganz bestimmten Auftrag auszuführen. Um dich und Rudolfo zu schaffen.« Er beugte sich vor und küsste Jakob auf die Stirn. »Und dich auch, Jakob.«
    Jin erinnerte sich gut an die Nachricht, die er unter dem Kissen ihres Gästebettes im päpstlichen Sommerpalast zurückgelassen hatte, in der er sie vor dem kommenden Krieg gewarnt und ihr befohlen hatte, Rudolfo einen Erben zu gebären. Aber weshalb erzählte er ihr das alles?
    Als sich ihre Blicke trafen, konnte sie sehen, dass Tränen in seinen Augen standen. »Ich bedaure jedes Leid, das ich dem Kind oder Vater und Mutter eines anderen zugefügt habe«, sagte er. »Der Kummer darüber verzehrt mich, und wenn ich nachts schlafe, höre ich nur noch Verse und Schreie – nur sind es nicht die meiner Kinder, sondern die der anderen, deren Schnitter ich war, um einen Bannspruch aus Blut zu wirken, weil ich glaubte, die Welt damit zu retten.«
    Jin spürte, wie sich ihre eigenen Augen mit Tränen füllten, und das machte sie wütend. Traurigkeit hatte bei ihr oft diese Wirkung.
Schließlich sprach sie ihre Frage aus. »Weshalb erzählst du mir das?«
    Er seufzte. »Weil ich glaube, dass du manchmal Angst hast, du könntest werden wie ich.«
    Sie erinnerte sich an ihre

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